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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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zu müssen; aber das war nur alten Herren und sehr alten
Damen erlaubt.
    Nun waren
sie oben, und das weiße Haus stand in seinem makellosen Ebenmaß vor ihnen, mit
hohen Säulen, breiten Veranden und flachem Dach, schön wie eine Frau, die ihrer
Schönheit so gewiß ist, daß sie gegen jedermann huldreich und gut sein kann.
Scarlett liebte Twelve Oaks sogar noch mehr als Tara, denn die Jahre hatten ihm
eine Würde verliehen, die Geralds Haus noch fehlte. Die breite, gewundene
Auffahrt stand voll von Reitpferden und Wagen und von abund aussteigenden
Gästen, die mit ihren Freunden Grüße wechselten. Grinsende Neger, aufgeregt wie
immer, wenn Gäste kamen, führten die Pferde in den Wirtschaftshof, wo ihnen
Geschirr und Sättel abgenommen wurden. Schwarze und weiße Kinder schwärmten
kreischend über den frisch ergrünten Rasen, spielten Hüpfen und Verstecken und
prahlten damit, wieviel sie essen wollten. In der weiten Halle, die von der
Hausfront bis nach hinten durchging, wimmelte es von Menschen. Als der
O'Harasche Wagen vorfuhr, sah Scarlett Mädchen in Krinolinen, so bunt wie
Schmetterlinge die Treppe zum zweiten Stock hinaufgehen und herunterkommen.
Einzeln und paarweise sah sie sie stehenbleiben und sich über das
Treppengeländer lehnen, hörte sie lachen und den jungen Leuten unten in der
Halle zurufen. Durch die offenen Glastüren sah sie die alten Damen würdevoll in
ihren schwarzen Seidenkleidern im Wohnzimmer sitzen, wie sie sich fächelten und
einander von Babys und Krankheiten erzählten und wer wen geheiratet hätte und
warum. Der Wilkessche Diener Tom eilte geschäftig mit einem silbernen Tablett
durch die verschiedenen Räume und bot grinsend mit einer Verbeugung jungen
Herren in rehfarbenen und grauen Hosen und feingefältelten Batisthemden hohe
Gläser mit Pfefferminzwhisky an. In der sonnigen Vorderveranda drängten sich
die Gäste. Es war wohl die ganze Provinz da, dünkte es Scarlett. Die vier
Tarletonjungens und ihr Vater lehnten an den hohen Säulen, die Zwillinge Stuart
und Brent nebeneinander, unzertrennlich wie immer, Boyd und Tom mit ihrem Vater
James Tarleton. Mr. Calvert stand dicht neben seiner Yankeegattin, die nach
fünfzehn Jahren in Georgia immer noch nirgends so recht hingehörte. Alle waren
sehr höflich und freundlich zu ihr, weil sie ihnen leid tat, aber keiner konnte
vergessen, daß zu dem Urfehler ihrer Abstammung auch noch die Tatsache kam, daß
sie bei Mr. Calverts Kindern Erzieherin gewesen war. Die beiden Calvertsjungen
Raiford und Cade waren da mit ihrer blonden Schwester Cathleen, einer
blendenden Erscheinung, die sich mit dem dunklen Joe Fontaine neckte und mit
Sally Munroe, seiner hübschen Verlobten. Alex und Tony Fontaine flüsterten
Dimity Munroe etwas ins Ohr, worauf sie in ein helles Lachen ausbrach. Von weit
her waren Leute gekommen, von dem zehn Meilen entfernten Lovejoy, von Fayetteville
und von Jonesboro, einige sogar aus Atlanta und Macon. Die Wände wollten ob der
Menge schier bersten, ein unendliches Schwatzen und Lachen, Kichern und
Kreischen klangen bald lauter, bald leiser ins Freie hinaus.
    Auf den
Stufen vor der Eingangstür stand hochaufgerichtet John Wilkes in seinem
Silberhaar und strahlte den stillen Zauber und die herzliche Gastfreundschaft
aus, die warm und nie versagend wie die georgianische Sommersonne waren. Neben
ihm stand Honey Wilkes - Honey genannt, weil sie von ihrem Vater an bis zum
letzten Ackerknecht unterschiedslos jeder mit diesem Kosenamen anredete - und
begrüßte geziert und kichernd die ankommenden Gäste.
    Honeys
nervöses und gar zu augenfälliges Bestreben, jedem Mann, der in Sicht kam, zu
gefallen, stand in scharfem Gegensatz zu der vornehmen Haltung ihres Vaters.
Scarlett kam der Gedanke, daß am Ende doch etwas Wahres an alledem sei, was
Mrs. Tarleton gesagt hatte. Der gutaussehende Teil der Familie waren zweifellos
die Männer. Die dichten tiefen Wimpern, zwischen denen John Wilkes' und Ashleys
Augen so schön standen, waren bei Honey und ihrer Schwester India spärlich und
farblos geraten. Honey hatte den eigentümlichen wimperlosen Blick eines
Kaninchens, und India konnte man nur als häßlich bezeichnen.
    India war
nirgends zu sehen, Scarlett vermutete sie in der Küche, wo sie wahrscheinlich
den Dienstboten die letzten Anweisungen gab. Arme India, dachte Scarlett. Sie
hat sich seit dem Tode ihrer Mutter so mit dem Haushalt plagen müssen, daß sie
es mit Ausnahme von Stuart Tarleton zu keinem Verehrer gebracht hat;

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