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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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mitleidig.
    Scarlett
stand auf dem Treppenabsatz und lugte vorsichtig über das Geländer nach unten
in die Halle. Sie war leer. Aus den Schlafzimmern im oberen Flur kam das
endlose Summen leiser Stimmen. Es schwoll an und schwoll wieder ab, und
zwischenhinein erscholl Gelächter. Auf den Betten und Diwans der sechs großen
Schlafzimmer ruhten die Mädchen sich aus. Das Kleid hatten sie abgelegt, das
Korsen gelockert, die Haare flossen geöffnet über den Rücken herab. Ein
Nachmittagsschlummer war auf dem Lande Sitte, und selten war er so nötig wie
auf solchen Gesellschaften, die den ganzen Tag dauerten, frühmorgens begannen
und in einem Ball ihren Höhepunkt fanden. Eine halbe Stunde schwatzten und
lachten noch die Mädchen miteinander, dann schlossen die Kammerjunfern die
Fensterläden, und in dem warmen Halbdunkel verlor sich das Gespräch im Flüstern
und schließlich ganz im Schweigen, das nur durch sanfte, regelmäßige Atemzüge
belebt ward.
    Scarlett
hatte sich davon überzeugt, daß Melanie mit Honey und Hetty Tarleton auf dem
Bett lag, dann schlich sie auf den Flur und ging die Treppe hinunter. Aus dem
Treppenfenster konnte sie die Gruppe der Männer unter den Bäumen sitzen sehen,
wie sie aus hohen Gläsern tranken. Dort blieben sie nun bis zum späten
Nachmittag. Sie suchte die Schar mit den Augen ab, aber Ashley war nicht
darunter. Dann horchte sie und vernahm seine Stimme, er nahm noch vorn in der
Einfahrt Abschied von davonfahrenden Frauen und Kindern.
    Das Herz
schlug ihr bis zum Halse, geschwind lief sie die Treppe hinunter. Wenn sie nun
Mr. Wilkes traf? Wie sollte sie sich dafür entschuldigen, im Hause
herumzustöbern, während alle anderen Mädchen schliefen? Nun, sie mußte es
darauf ankommen lassen. Als sie die untersten Stufen erreichte hatte, hörte sie
die Dienstboten im Speisezimmer hin und her gehen und nach den Anweisungen des
ersten Dieners Tisch und Stühle hinaustragen und das Zimmer für den Tanz
vorbereiten. Auf der andern Seite der Halle stand die Tür der Bibliothek offen,
lautlos lief sie hinüber. Dort konnte sie warten, bis Ashley mit Abschiednehmen
fertig war, und ihn dann anrufen, wenn er hereinkam. Die Bibliothek lag im
Halbdunkel da, die Vorhänge waren zum Schutz gegen die Sonne geschlossen. Der
dämmerige Raum mit seinen hohen Wänden, bis obenhin voller Bücher, bedrückte
sie.
    Für eine
Zusammenkunft, wie sie sie erhoffte, hätte sie sich diesen Ort sicher nicht
ausgesucht. Große Büchermengen bedrückten sie immer, ebenso wie die Leute, die
viele Bücher lasen ... Alle solche Leute mit einer einzigen Ausnahme: Ashley.
Schwere Möbel standen vor ihr im Halbdunkel, hochlehnige Stühle mit tiefen
Sitzen und breiten Armlehnen für die großen Wilkesschen Männer, niedrige weiche
Samtsessel und Schemel für die Mädchen. Ganz am anderen Ende des langen Raumes
ragte vor dem Kamin das mächtige Sofa, Ashleys Lieblingsplatz, wie ein
schlafendes Riesentier.
    Sie schloß
die Tür bis auf einen schmalen Spalt und versuchte, den raschen Schlag ihres
Herzens zu beruhigen. Sie suchte sich genau auf das zu besinnen, was sie sich
gestern abend vorgenommen hatte, Ashley zu sagen, aber es war ihr völlig
entschwunden. Hatte sie sich überhaupt etwas ausgedacht und wieder vergessen?
Oder hatte nach ihrem Plan Ashley etwas zu ihr sagen sollen? Sie konnte sich
nicht erinnern, ein plötzlicher kalter Schauder überkam sie. Wenn nur ihr Herz
aufhören wollte, ihr in den Ohren zu dröhnen, vielleicht fiel ihr dann etwas
ein. Aber sein Pochen wurde nur noch schneller, als sie hörte, wie Ashley zur
Haustür hereinkam.
    Ihr fiel
nichts anderes ein, als daß sie ihn liebte - alles an ihm, vom stolz
emporgetragenen Haupt bis zu den schlanken dunklen Schuhen. Sie liebte sein
Lachen, auch wenn sie es nicht verstand, liebte sein beunruhigendes Verstummen
im Gespräch. Ach, käme er doch jetzt herein und nähme sie in die Arme, dann
brauchte sie gar nichts mehr zu sagen. Er mußte sie doch lieben ...
»Vielleicht, wenn ich bete?« Sie kniff die Augen fest zusammen und leierte vor
sich hin: »Ave Maria, Gnadenvolle ... «
    »Nun,
Scarlett?« Ashleys Stimme drang durch das Dröhnen in ihren Ohren zu ihr und
stürzte sie in äußerste Verwirrung. Er stand in der Halle und schaute durch den
Türspalt zu ihr herein, ein belustigtes Lächeln auf den Lippen.
    »Vor wem
versteckst du dich? Vor Charles oder vor den Tarletons?«
    Sie
schluckte. Er hatte also bemerkt, wie die Männer sie umschwärmt hatten!

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