Margaret Mitchell
wie ein Peitschenhieb durch den stillen Raum. Auf einmal war all
ihre Wut dahin, und nur Trostlosigkeit blieb im Herzen zurück.
Die rote
Spur ihrer Hand zeichnete sich deutlich auf seinem bleichen, müden Gesicht ab.
Er sagte nichts, hob nur ihre schlaffe Hand an seine Lippen und küßte sie. Ehe
sie etwas sagen konnte, war er fort und schloß leise die Tür hinter sich.
Jäh setzte
sie sich wieder nieder, unter der Nachwirkung ihrer Wut zitterten ihr die Knie.
Nun war er fort, und die Erinnerung an den Schlag in sein Gesicht würde ihr nun
ihr Lebtag keine Ruhe mehr lassen.
Sie hörte
den weichen, gedämpften Laut seiner Tritte die lange Halle hinunter verklingen,
und die ganze Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte, kam über sie. Sie
hatte ihn für immer verloren. Nun mußte er sie hassen und jedesmal, wenn er sie
sah, sich daran erinnern, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, während
er doch nicht das leiseste getan hatte, um ihr Hoffnungen zu machen.
»Ich bin
nicht besser als Honey Wilkes«, dachte sie plötzlich und besann sich, wie
jeder, sie selbst mehr als die anderen, über Honeys schamloses Betragen
verächtlich gelacht hatte. Sie sah Honey sich kokett winden und hörte ihr
läppisches Kichern, wenn sie sich den Burschen in den Arm hängte. Diese
Vorstellung stachelte die Wut aufs neue in ihr an, die Wut auf sich selbst, auf
Ashley, auf die ganze Welt. Wie sie sich haßte! Sich und alle, mit der Raserei
ihrer sechzehnjährigen, durchkreuzten, gedemütigten Liebe. Nur sehr wenig wahre
Zärtlichkeit war in dieser Liebe gewesen. Der größte Teil war Eitelkeit,
selbstgefälliges Vertrauen in den eigenen Zauber. Nun hatte sie verloren.
Größer aber als das Gefühl ihres Verlustes war die Angst, sich vor den andern
an den Pranger gestellt zu haben. Hatte sie sich auffallend benommen wie Honey?
Lachte jedermann über sie? Bei dem Gedanken erbebte sie von neuem.
Ihre Hand
fiel auf einen kleinen Tisch neben ihr und geriet dabei an eine winzige
Porzellanschale für Rosen, an die sich zwei Porzellanengel schmiegten. Sie
hätte fast aufgekreischt, nur um die Stille zu durchbrechen, so lautlos war das
Zimmer. Irgend etwas mußte sie tun, oder sie verlor den Verstand. Sie packte
die Schale, und mit bösartigem Schwung schleuderte sie sie quer durch das
Zimmer gegen den Kamin. Sie flog knapp an der hohen Sofalehne vorbei und
zerschellte klirrend am Marmor.
»Dies«,
sagte eine Stimme aus der Tiefe des Sofas, »geht zu weit.«
Nie im
Leben hatte sie sich so erschrocken. Der Mund war ihr so trocken, daß sie
keinen Laut herausbrachte. Sie klammerte sich an die Stuhllehne, denn ihr
wankten die Knie, als Rhett Butler sich von dem Sofa, auf dem er gelegen hatte,
erhob und sich mit übertriebener Höflichkeit vor ihr verbeugte.
»Schlimm
genug, wenn einem der Mittagsschlaf durch eine Szene gestört wird, wie ich sie
mit anhören mußte. Soll ich da auch noch mein Leben in Gefahr bringen?«
Er war es
leibhaftig. Er war kein Geist. Aber, die Heiligen mochten sie bewahren, er
hatte alles mit angehört! Sie nahm alle Kraft zusammen und gab sich einen
Anschein von Würde.
»Mein
Herr, Sie hätten sich bemerkbar machen müssen.«
»So?«
Seine weißen Zähne glänzten, die kühnen dunklen Augen lachten sie an. »Aber Sie
haben sich doch hier eingedrängt. Ich mußte auf Mr. Kennedy warten, und da mir
schien, ich wäre im Hintergarten vielleicht nicht ganz erwünscht, war ich so
rücksichtsvoll, meine unwillkommene Gegenwart hierher zu verlegen, wo ich
glaubte ungestört zu sein. Aber leider ...«, er zuckte die Achseln und lachte
leise.
Das Blut
begann ihr wieder zu sieden bei dem Gedanken, daß dieser freche, unverschämte
Kerl alles gehört hatte - Worte, von denen sie wünschte, sie wären nie über
ihre Lippen gekommen.
»Sie
Horcher ...«, begann sie zornig.
»Horcher
hören oft höchst unterhaltsame, lehrreiche Dinge«, lächelte er. »Aus einer
langen Erfahrung im Horchen weiß ich ... «
»Herr«,
sagte sie, »Sie sind kein Gentleman!«
»Eine
passende Bemerkung«, antwortete er leichthin. »Und Sie, mein Fräulein, sind
keine Lady!« Er fand sie offenbar sehr ergötzlich, denn er lachte wieder leise
vor sich hin. »Wer so etwas sagt und tut, wie ich eben mit angehört habe, ist
keine Dame mehr. Indessen haben Damen nur selten Reiz für mich gehabt. Sie
haben nie den Mut oder den Mangel an Kinderstube, zu sagen, was sie denken. Und
das wird mit der Zeit sehr langweilig. Sie aber, meine
Weitere Kostenlose Bücher