Margaret Mitchell
Melanie Hamilton ins Gesicht, um ihr zu zeigen,
was sie von ihrer Nächstenliebe hielt. Aber sie hatte sich heute schon gemein
genug benommen, ganz wie »weißes Pack« ... daher rührte überhaupt das ganze
Unheil!
Mit den
Händen drückte sie ihre Röcke ganz fest an sich, damit sie nicht raschelten,
und entwischte verstohlen wie ein Tier. Nach Hause! Damit jagte sie hinunter in
die Halle an verschlossenen Türen und stillen Zimmern vorbei. Sie mußte nach
Hause. Schon war sie an der Haustür, da stutzte sie. Ihr war eingefallen - sie
konnte ja nicht nach Hause. Weglaufen konnte sie nicht! Sie mußte hindurch,
durch alle Bosheit der Mädchen, durch ihre eigene Schmach und all das Herzweh.
Lief sie weg, so gab sie ihnen nur neue Waffen in die Hand.
Mit der
geballten Faust schlug sie gegen die hohe weiße Säule neben sich und wünschte
sich, Simson zu sein, um das ganze Twelve Oaks samt allen Menschen darin in
Grund und Boden reißen zu können. Sie sollten es noch zu fühlen bekommen. Sie
wollte es ihnen schon zeigen! Sie wollte ihnen noch weher tun, als sie ihr
getan hatten. Für den Augenblick war Ashley vergessen. Er war nicht mehr der große,
träumerische Junge, den sie liebte, sondern gehörte zu der ganzen Wilkesschen
Sippe, zu Twelve Oaks, zur Provinz - sie haßte sie alle, weil sie sie
auslachten. Mit sechzehn Jahren ist die Eitelkeit stärker als die Liebe; in
ihrem heißen Herzen hatte nichts anderes mehr Raum als der Haß.
»Ich will
nicht nach Hause. Ich bleibe hier und lasse es sie fühlen. Mutter sage ich
nichts davon, nein, keinem Menschen.« Sie raffte sich zusammen, um ins Haus
zurückzukehren. Die Treppe hinauf in ein anderes Schlafzimmer. Als sie sich in
der Halle umwandte, sah sie Charles am andern Ende ins Haus treten. Er
erblickte sie und kam rasch auf sie zu, sein Haar war zerzaust, sein Gesicht
vor Aufregung so rot wie eine Geranienblüte.
»Wissen
Sie, was geschehen ist?« rief er ihr schon von weitem entgegen. »Haben Sie es
gehört? Paul Wilson kommt eben von Jonesboro herübergeritten! «
Er hielt
atemlos inne. Sie entgegnete nichts, sie starrte ihn nur an.
»Mr.
Lincoln hat die Männer aufgerufen, Soldaten - Freiwillige meine ich - fünfundsiebzigtausend!«
Schon
wieder Mr. Lincoln! Dachten denn die Männer nie an wirklich Wichtiges? Dieser
dumme Junge erwartete von ihr, sie solle sich über Mr. Lincolns Possen
aufregen, während ihr das Herz brach und ihr Ruf so gut wie zerstört war. Jetzt
starrte Charles sie an. Ihr Gesicht war weiß wie Papier, ihre schmalen Augen
sprühten grünes Feuer wie Smaragde. Solches Feuer hatte er nie in einem
Mädchengesicht gesehen, solche Glut noch nie in einem menschlichen Auge.
»Ich bin
so ungeschickt, ich hätte es Ihnen zarter beibringen sollen. Ich habe
vergessen, wie empfindsam Damen sind. Es tut mir leid, daß ich Sie so
erschreckt habe. Kann ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
»Nein.«
Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande.
»Wollen
wir uns auf die Bank setzen?« Er nahm ihren Arm. Sie nickte, und er geleitete
sie behutsam die Stufen hinunter und führte sie nach der Bank unter der großen
Eiche im Vorgarten. »Wie zart und zerbrechlich Frauen sind«, dachte er, »schon
die Erwähnung von Krieg und Greuel benimmt ihnen die Sinne.« Dabei fühlte er
sich sehr männlich und verdoppelte seine Fürsorge. Sie sah so seltsam aus. Auf
ihrem bleichen Gesicht lag eine wilde Schönheit, die ihm das Herz zusammenzog.
Wäre es möglich, daß der Gedanke, er würde in den Krieg gehen, ihr Kummer
machte? Nein, das war zu anmaßend, das konnte er nicht glauben. Warum sah sie
ihn dann aber so wunderlich an? Warum zitterten ihr die Hände, während sie an
ihrem Spitzentaschentuch zerrte? Und die dichten kohlschwarzen Wimpern zuckten
auf und nieder, wie es bei den Mädchen, von denen man in Romanen las, vor
Schüchternheit und Liebe geschah.
Er
räusperte sich dreimal, um etwas zu sagen, und es mißlang ihm jedesmal. Er
schlug die Blicke nieder, weil ihre grünen Augen die seinen so starr
durchdrängen, als sähe sie ihn gar nicht.
»Er hat
eine Menge Geld«, dachte sie schnell, indem ein Gedanke ihr durchs Hirn zog.
»Er hat keine Eltern, die mir das Leben schwermachen würden, er lebt in
Atlanta, und wenn ich ihn jetzt auf der Stelle heirate, kann ich Ashley zeigen,
daß ich mir nicht das mindeste aus ihm mache, daß ich nur mit ihm gespielt
habe, und Honey würde es einfach umbringen. Einen anderen Verehrer kriegt sie
nie und nimmer, und
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