Margaret Mitchell
unterdrücken. »Horcher hören oft höchst lehrreiche
Dinge«, äffte sie eine Erinnerung. Sollte sie sich leise wieder entfernen? Oder
sich bemerkbar machen und Honey in Verlegenheit bringen, wie sie es verdient
hatte? Da hörte sie wieder etwas und hielt inne. Ein ganzes Gespann Maultiere
hätte sie nicht wegzerren können, als sie Melanies Stimme vernahm.
»Ach,
Honey, nicht doch! Nicht so unfreundlich sein! Sie ist eben temperamentvoll und
lebhaft. Ich fand sie sehr reizend.«
»Oho!«
Scarlett krallte die Nägel in ihre Taille ein. »Dies schüchterne kleine
Persönchen tritt für mich ein!«
Das war
mühsamer anzuhören als Honeys gehässige Stichelei. Scarlett hatte nie einem
weiblichen Wesen getraut und außer ihrer Mutter keiner Frau andere als
selbstsüchtige Antriebe zugebilligt. Melanie war Ashleys sicher, da konnte sie
sich solch selbstlose Denkungsart leisten. Das war echt Melanie, dachte
Scarlett, auf solche Weise mit ihrer Eroberung großzutun und sich zugleich in
den Ruf eines sanften Gemütes zu bringen. Oft hatte Scarlett sich, wenn sie mit
Männern andere Mädchen durchhechelte, desselben Kniffes bedient, und er hatte
die dumme Männerwelt jedesmal unfehlbar von ihrer Sanftmut und Selbstlosigkeit
überzeugt.
»Nun, mein
Fräulein«, erhob Honey patzig die Stimme, »dann mußt du blind sein.«
»Seht,
Honey«, zischte Sally Munroes scharfe Stimme. »Man hört dich ja im ganzen
Haus.«
Gedämpft
fuhr Honey fort: »Du hast doch gesehen, wie sie mit jedem Mann, den sie
erwischen konnte, ins Zeug ging ... sogar mit Mr. Kennedy, und er ist doch der
Verehrer ihrer eigenen Schwester. So etwas habe ich nie erlebt! Und ganz sicher
hatte sie es auf Charles abgesehen.« Honey verfiel in ein gereiztes Kichern:
»Und du weißt doch, Charles und ich ...«
»Wahrhaftig?«
flüsterten erregte Stimmen.
»Nun,
erzählt es, bitte, niemand ... noch nicht!«
Das
Getuschel nahm zu, Bettfedern krachten. Melanie flüsterte, wie glücklich sie
sei, daß Honey ihre Schwester werden sollte.
»Ich freue
mich aber gar nicht darauf, Scarlett zur Schwester zu bekommen«, ertönte
bekümmert Hetty Tarletons Stimme. »Was ist sie nur für ein unglaublicher
Draufgänger. Sie ist mit Stuart so gut wie verlobt. Brent sagt zwar, sie gebe
keinen Deut um ihn, aber Brent ist natürlich auch in sie verliebt.«
»Wenn ihr
mich fragt«, tuschelte Honey geheimnisvoll, »ich sage euch, es gibt nur einen,
aus dem sie sich wirklich etwas macht, und das ist Ashley.«
Als das
Getuschel der Fragen und Antworten immer heftiger wurde, ging ein Frösteln der
Angst und Scham durch Scarletts Brust. Honey war eine dumme Gans, ein albernes,
einfältiges, unerfahrenes Ding, soweit es sich um Männer handelte; für andere
Frauen aber hatte sie einen Spürsinn, den Scarlett unterschätzt hatte. Neben
der Schmach, die sie hier auf ihrem Lauscherposten erlitt, waren die Demütigung
und der verletzte Stolz, die sie bei Ashley und Rhett Butler in der Bibliothek
gepeinigt hatten, nur Nadelstiche. Männern konnte man zutrauen, daß sie den
Mund hielten, sogar solchen wie Mr. Butler, aber Honey Wilkes gab Laut wie ein
Jagdhund, und dann wußte die ganze Provinz noch vor sechs Uhr alles. Gestern
abend erst hatte Gerald gesagt, er wolle nicht, daß die Provinz über seine Tochter
lache. Und wie nun alle lachen würden! Der kalte Schweiß brach ihr aus.
Melanies gemessene, friedliche Stimme erhob sich ein bißchen vorwurfsvoll über
die der andern:
»Honey, du
weißt, daß das nicht wahr ist. Es ist lieblos von dir.«
»Es ist
doch so, Melly, und wärest du nicht immer so darauf aus, etwas Gutes an Leuten
zu entdecken, an denen gar nichts Gutes ist, dann hättest du es auch gesehen.
Und ich freue mich, daß es so ist. Es geschieht ihr ganz recht. Scarlett O'Hara
hat immer nur überall Unfrieden gestiftet und versucht, andern Mädels die
Freunde wegzuschnappen. Du weißt ganz gut, daß sie India ihren Stuart
weggeschnappt hat und ihn jetzt nicht einmal will. Heute hat sie es nun mit Mr.
Kennedy und Ashley und Charles versucht ...«
»Ich muß
nach Hause!« dachte Scarlett. »Ich muß einfach nach Hause!«
Könnte
doch Zauberei sie nach Tara entrücken und in Sicherheit bringen! Könnte sie
doch bei Ellen sein, nur sie sehen, sie am Rock fassen und in Ellens Schoß
weinen und ihr ganzes Herz ausschütten! Hörte sie nur noch ein Wort, so stürzte
sie hinein, das wußte sie, und riß ganze Hände voll von Honeys dünnen
blaßblonden Haaren aus und spie
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