Margaret Mitchell
Nachbarn
fertigbringt; meistens ist es dann auch ein alter, grämlicher Witwer mit einer
großen Plantage und einem Dutzend Kinder.
Ja, für
eine Witwe war es für immer mit dem Leben vorbei. Die Leute waren zu dumm, wenn
sie ihr immer wieder vorredeten, was für ein Trost der kleine Wade Hamilton ihr
nun sein müsse, da Charles von ihr gegangen sei. Zu dumm, wenn sie meinten, sie
hätte jetzt etwas, wofür sie leben könnte! Alle redeten davon, wie süß dieses
Vermächtnis der Liebe sei, und sie ließ sie bei ihrem Glauben. Ihr aber lag
dieser Gedanke am allerfernsten. Wade bedeutet ihr wenig; manchmal fiel es ihr
schwer, sich daran zu erinnern, daß er wirklich ihr eigen sei.
Jeden
Morgen, wenn sie aufwachte, war sie im Halbschlummer auf einen Augenblick
wieder Scarlett O'Hara. Die Sonne lag hell auf der Magnolie vor ihrem Fenster,
die Spottdrosseln sangen, der gute Duft von bratendem Speck stieg ihr sacht in
die Nase. Sie war wieder sorglos und jung. Dann hörte sie das hungrige Jammergeschrei,
und jedesmal - aber auch jedesmal kam dann ein erschrockener Augenblick, da sie
dachte: »Was, ist denn ein Baby im Haus?« Dann fiel ihr ein, daß es ihr eigenes
war. Es war sehr schwer, sich darein zu finden.
Und
Ashley! Ach, vor allem Ashley! Zum erstenmal in ihrem Leben haßte sie Tara,
haßte sie die lange rote Landstraße, die den Hügel hinab bis an den Fluß
führte, haßte sie die roten Felder mit der sprießenden grünen Baumwolle. Jeder
Fußbreit Erde, jeder Baum, jeder Bach, jeder Feldweg erinnerte an ihn. Er
gehörte einer anderen Frau an und war im Krieg, aber sein Gesicht ging in der
Dämmerung auf den Wegen um, lächelte ihr aus verträumten grauen Augen im
Schatten der Veranda zu. Nie hörte sie Hufschlag die Straße über den Fluß aus
Twelve Oaks heraufkommen, ohne einen wonnevollen Augenblick lang zu denken:
Ashley!
Jetzt
haßte sie auch Twelve Oaks und hatte es doch einst so geliebt. Sie haßte es,
und trotzdem zog es sie hin. Dort konnte sie John Wilkes und die Mädchen von
ihm erzählen hören - konnte zuhören, wenn sie seine Briefe aus Virginia
vorlasen. Sie taten ihr weh, aber sie mußte sie hören.
Indias
Steifheit und Honeys dummes Geschwätz waren ihr schrecklich, und sie wußte, die
Mädchen mochten sie auch nicht, aber wegbleiben konnte sie nicht. Und jedesmal,
wenn sie aus Twelve Oaks heimkam, legte sie sich vergrämt auf ihr Bett und
wollte zum Abendessen nicht aufstehen. Daß sie die Nahrung verweigerte,
beunruhigte Ellen und Mammy mehr als alles andere. Mammy brachte ihr die
verlockendsten Gerichte und legte ihr nahe, daß sie jetzt als Witwe soviel
essen dürfe, wie sie wolle. Aber Scarlett hatte keinen Appetit. Als Dr.
Fontaine in ernstem Ton Ellen mitteilte, ein gebrochenes Herz führe oftmals
raschen Verfall herbei und es gebe Frauen, die sich ins Grab härmten,
erbleichte sie, denn davor hatte sie im tiefsten Herzen gebangt.
»Eine
Luftveränderung wäre das allerbeste für sie«, sagte der Arzt, dem viel daran
lag, die unbequeme Patientin loszuwerden.
Scarlett
machte sich also ohne Lust und Liebe mit ihrem Kinde auf und besuchte die
O'Haraschen und Robillardschen Verwandten in Savannah und dann Ellens
Schwestern Pauline und Eulalia in Charleston. Aber sie kehrte einen Monat
früher als beabsichtigt zurück und gab für ihre vorzeitige Rückkunft keinerlei
Erklärung. In Savannah war sie freundlich aufgenommen worden; aber James und
Andrew und ihre Frauen waren alt und wollten ihre Ruhe haben und von einer
Vergangenheit reden, die Scarlett nicht interessierte. Ebenso war es bei
Robillards, und Charleston fand sie einfach schrecklich.
Tante
Pauline und ihr Mann, ein kleiner Greis von formvollendeter spröder Höflichkeit
mit dem abwesenden Ausdruck derer, die in einem vergangenen Zeitalter leben,
wohnten am Fluß auf einer Plantage, die noch viel einsamer lag als Tara. Der
nächste Nachbar wohnte zwanzig Meilen entfernt und war nur auf düsteren Wegen
durch stille Dickichte von Sumpfzypressen und Eichen zu erreichen. Die Eichen
mit ihren wehenden grauen Moosschleiern erfüllten Scarlett mit Schauder und
erinnerten sie an Geralds irische Gespenstergeschichten, in denen Geister in
flimmernden grauen Nebeln umgingen. Zudem mußte sie dort den ganzen Tag
stricken und abends Onkel Carey zuhören, wenn er aus den belehrenden Werken
Bulwer-Lyttons vorlas.
Eulalia,
die in einem großen Hause auf der Schanze in Charleston hinter den hohen Mauern
ihres Gartens zurückgezogen lebte, war
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