Margaret Mitchell
auch nicht unterhaltend. Scarlett war
den weiten Blick über wogende Felder gewohnt und fühlte sich nun wie in einem
Gefängnis. Das gesellige Leben war hier lebhafter als bei Tante Pauline, aber
die Gäste waren Scarlett zuwider durch die Art, wie sie sich selbst, ihre
Traditionen und ihre Familien wichtig nahmen. Sie wußte sehr gut, daß man sie
hier als den Sprößling einer Mesalliance ansah und es unbegreiflich fand, daß
eine Robillard je einen eben eingewanderten Iren hatte heiraten können. Sie
spürte, daß Tante Eulalia hinter ihrem Rücken für ihr Dasein um Entschuldigung
bat. Das erregte ihren Zorn, denn sie gab nicht mehr auf Familie als ihr Vater.
Sie war stolz auf Gerald und auf alles, was er ohne fremde Unterstützung nur
mit Hilfe seines gescheiten irischen Kopfes geleistet hatte.
Und wie
die Leute in Charleston mit Fort Sumter prahlten! Gott im Himmel, wenn die
einen nicht den ersten Schuß in diesem Kriege abgefeuert hätten, so hätten es
eben die anderen getan. Scarlett war die scharf akzentuierenden Stimmen
Obergeorgias gewöhnt, die gedehnten, klingenden Laute des Unterlandes kamen ihr
geziert vor. Ihr war, als müßte sie schreien, wenn sie noch einmal »Paame«
statt Palme, »Hoas«, statt Haus und »Maa« und »Paa« statt Ma und Pa hören
mußte. Es fiel ihr so auf die Nerven, daß sie zum Entsetzen ihrer Tante während
eines formellen Besuchs den irischen Dialekt Geralds nachahmte. Schließlich
kehrte sie nach Tara zurück. Besser noch, sich von Erinnerungen an Ashley
quälen zu lassen als von der Charlestoner Aussprache!
Ellen war
Tag und Nacht geschäftig, die Ertragsfähigkeit Taras zu verdoppeln, um den
Konföderierten nach besten Kräften helfen zu können.
Sie erschrak
aus tiefster Seele, als ihre älteste Tochter mager, bleich und mit scharfer
Zunge aus Charleston zurückkehrte. Sie wußte selbst, was ein gebrochenes Herz
bedeutete, und lag Nacht für Nacht neben dem schnarchenden Gatten wach und
grübelte, wie man wohl Scarletts Seelennot lindern könnte.
Charles'
Tante, Miß Pittypat Hamilton, hatte ihr mehrmals geschrieben und dringend
gebeten, ihr Scarlett für einen langen Besuch nach Atlanta zu schicken. Zum
erstenmal zog Ellen den Vorschlag ernstlich in Erwägung.
Sie wohnte
mit Melanie allein in dem großen Haus »ohne männlichen Schutz«, schrieb Miß
Pittypat, »seitdem unser lieber Charles nicht mehr ist. Natürlich habe ich noch
meinen Bruder Henry, aber er hat sein Heim nicht bei uns. Vielleicht hat
Scarlett Ihnen von Henry erzählt. Mein Zartgefühl verbietet mir, mehr von ihm
dem Papier anzuvertrauen. Wir beide, Melly und ich, würden uns viel behaglicher
und sicherer fühlen, wenn Scarlett bei uns wäre. Drei einsame Frauen sind
besser als zwei. Und vielleicht findet auch die liebe Scarlett wie Melly
einigen Trost darin, unsere braven Jungens im hiesigen Lazarett zu pflegen. -
Und natürlich haben Melly und ich große Sehnsucht, den süßen Kleinen zu sehen.«
So wurden
Scarletts Trauerkleider denn von neuem in den Koffer gepackt, und sie machte
sich mit Wade Hampton und seinem Kindermädchen Prissy auf den Weg, den Kopf
voller Ermahnungen von Ellen und von Mammy und in der Tasche hundert Dollar in
Banknoten der Konföderierten, die Gerald ihr mitgab. Sie hatte keine Lust, nach
Atlanta zu gehen. Tante Pitty war nach ihrer Meinung die albernste alte Dame,
die sie sich vorstellen konnte, und der bloße Gedanke, mit Ashleys Frau unter
einem Dach zu wohnen, war ihr schrecklich. Aber die Heimat mit ihren
Erinnerungen war ganz unerträglich geworden, und jede Veränderung war ihr
willkommen.
ZWEITES BUCH 8
Als an
einem Maimorgen des Jahres 1862 die Eisenbahn Scarlett nordwärts trug, meinte
sie, Atlanta könne unmöglich so langweilig sein wie Charleston und Savannah,
und trotz ihrer Abneigung gegen Miß Pitty und Melanie war sie doch ein wenig
neugierig, zu sehen, wie es der Stadt seit ihrem letzten Besuch im Winter vor
Beginn des Krieges ergangen war. Atlanta hatte sie immer mehr interessiert als
jede andere Stadt, weil Gerald ihr einmal erzählt hatte, sie und Atlanta seien
gleichaltrig. Später kam sie allerdings dahinter, daß Gerald es mit der
Wahrheit nicht so genau genommen hatte. Atlanta war immerhin neun Jahre älter
als sie, aber es gehörte doch ihrer eigenen Generation an. Es war rauh wie die
Jugend und ungestüm und eigensinnig wie Scarlett selbst. Geralds Behauptung
beruhte darauf, daß Atlanta und sie in demselben Jahre getauft worden
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