Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
Glut, die ihr unscheinbares
Gesichtchen überstrahlte und verschönte.
    Als das
Lied zu Ende war, lag derselbe Glanz auf den Gesichtern aller Frauen, Tränen
des Stolzes auf rosigen wie auf runzligen Wangen, ein Lächeln auf den Lippen
und in den Augen heiße Glut, wenn sie ihre Männer ansahen, die Liebste den
Geliebten, die Mutter den Sohn, die Gattin den Gatten. Alle hatten teil an
jener Schönheit, die auch die unscheinbarste Frau verklärt, wenn sie sich ganz
und gar geliebt und beschützt fühlt und die Liebe tausendfältig zurückgibt. Sie
liebten die Männer ihres Vaterlandes, sie glaubten an sie und vertrauten ihnen
bis zum letzten Atemzug. Wie konnte denn der Heimat ein Unglück widerfahren,
wenn diese hochgemute graue Mauer der heldenhaftesten und ritterlichsten
Männer, die je auf der Welt gelebt hatten, sich zwischen ihr und den Yankees
erhob! Aller Herzen waren übervoll von Hingabe und Stolz, übervoll von der
gerechten Sache der Konföderierten, deren endgültiger Sieg zum Greifen nahe
war. »Stonewall« Jacksons Erfolge im Shenandoahtal und die Niederlage der
Yankees in der siebentägigen Schlacht um Richmond ließen daran keinen Zweifel.
Wie konnte das bei solchen Heerführern wie Lee und Jackson auch anders sein?
Noch ein Sieg, dann lagen die Yankees am Boden und bettelten um Frieden. Dann
kamen die Männer nach Hause geritten, und dann war des Küssens und Lachens kein
Ende. Noch ein Sieg, und der Krieg war aus.
    Freilich
stand mancher Stuhl leer, mancher Säugling sollte die väterlichen Züge nie zu
Gesicht bekommen, manches namenlose Grab lag an einsamen Bächen in Virginia und
in den stillen Bergen von Tennessee. Aber war denn solcher Preis für die
heilige Sache zu hoch? Daß Seidenstoffe und Genußmittel schwer zu haben waren,
darüber lachte man nur. Außerdem brachten die schneidigen Blockadebrecher vor
der Nase der Yankees manches herein, und das machte seinen Besitz doppelt
aufregend. Bald würden Raphael Semmes und die konföderierte Flotte sich etwas
näher mit den Kanonenbooten der Yankees befassen, und dann standen die Häfen
wieder weit offen. Überdies mußte England den Südstaaten zu Hilfe kommen, denn
dort standen die Spinnereien still, solange sie keine Baumwolle erhielten.
Natürlich stand auch der britische Adel auf seilen der Konföderierten, wie eben
Aristokraten gegen ein Gesindel von Geldmachern zusammenhielten.
    So ließen
denn die Frauen ihre Seide rauschen und empfanden die doppelte Süßigkeit der
Liebe im Angesicht von Tod und Gefahr. Scarletts Herz pochte in der stürmischen
Erregung, endlich wieder unter Menschen zu sein. Aber der Ausdruck einer
schwärmerischen Begeisterung auf allen Gesichtern, die sie nicht teilte und nur
halb verstand, dämpfte ihre Freude. Der Saal schien ihr nicht mehr so schön,
die Mädchen nicht mehr so elegant, als ihr der Gedanke kam, daß all diese Glut
der Hingabe auf jedem Antlitz vergeblich und ... albern sei.
    Voller
Entsetzen sagte sie sich: »Nein, nein! So etwas darfst du nicht denken, das ist
unrecht, das ist Sünde!« Aber doch war ihr klargeworden, daß die große heilige
Sache ihr nichts bedeutete. Es langweilte sie nur, wenn alle Menschen mit
fanatischem Blick in den Augen davon sprachen. Der Krieg kam ihr durchaus nicht
als etwas Heiliges, sondern als etwas sehr Lästiges und Sinnloses vor. Ihr wurde
klar, wie müde sie des endlosen Strickens, des Bindenrollens und
Scharpiezupfens war, von dem ihre Fingerspitzen rauh wurden. Ach, und das
Lazarett hatte sie so satt! Es machte sie elend und krank mit seinen
ekelerregenden Gerüchen und dem endlosen Gestöhn. Der Ausdruck nahenden Todes
auf den eingefallenen Gesichtern war ihr fürchterlich.
    Verstohlen
blickte sie sich um, voller Sorge, es möchte jemand in ihrem Gesicht lesen, was
in ihrer Seele vorging. Warum konnte sie nicht wie die anderen Frauen empfinden?
Sie alle meinten wirklich von ganzem Herzen, was sie sagten und taten, sie aber
mußte die Begeisterung und den Stolz, den sie nicht empfinden konnte, spielen;
mußte die Maske der Kriegerwitwe anlegen, die ihren Schmerz tapfer trägt,
während ihr Herz im Grabe liegt; die davon durchdrungen ist, daß ihres Mannes
Tod nichts gegen den Sieg der großen heiligen Sache bedeutet. Ach, wie einsam
sie sich fühlte, sie, die doch niemals zuvor einsam gewesen war! Anfangs
versuchte sie, sich selber über ihre Empfindungen zu täuschen, aber die harte
Ehrlichkeit, die ein Grundzug ihres Wesens war, ließ es nicht zu, und

Weitere Kostenlose Bücher