Margaret Mitchell
Atlasschärpen getragen und fanden, noch ehe die Nacht zu Ende
ging, ihren Weg als kostbare Andenken in die Brusttaschen grauer Uniformen. In
diesen Uniformen waren viele Männer erschienen, die Scarlett vom Lazarett, von
der Straße oder vom Exerzierplatz her kannte. Es waren prächtige Waffenröcke
mit blanken Knöpfen und funkelnden Goldtressen an Aufschlägen und Kragen;
vorzüglich hoben sich von dem Grau der Hosen die roten, gelben und blauen
Streifen der verschiedenen Waffengattungen ab. Die breiten Fransen der
rot-goldenen Offiziersschärpen glitzerten im vielfachen Licht der Kerzen,
schimmernde Degen klappten gegen Lackstiefel, Sporen rasselten und klirrten.
»Was für
gutaussehende Männer!« dachte .Scarlett in freudiger Erregung, als die
Begrüßungen begannen. Trotz der schwarzen und braunen Vollbärte sahen sie alle
so jung und unbekümmert aus, mit dem Arm in der Schlinge oder dem erschreckend
weißen Koplverband über dem sonnenverbrannten Gesicht. Einige kamen an Krücken
- wie sorgsam paßten ihrem Humpeln die Mädchen den Schritt an! Eine Uniform beschämte
durch ihre Farbenpracht den buntesten Putz der Damen und stach aus dem Schwärm
wie ein tropischer Vogel hervor. Es war ein Zuave aus Louisiana mit blau und
weiß gestreiften Pluderhosen, elfenbeinfarbenen Gamaschen und einem
enganliegenden roten Jäckchen - ein dunkler, grinsender kleiner Affe von Mann
mit dem Arm in einer schwarzen Seidenschlinge. Das war Maybelle Merriwethers
bevorzugter Verehrer, Rene Picard. Das ganze Lazarett war offenbar hier,
wenigstens jeder, der gehen konnte, alle Urlauber, alle vom Eisenbahnund
Postdienst, von den Sanitäts- und Requirierungskommandos zwischen hier und
Macon. Wie mußten sich die Komiteedamen freuen! Das Lazarett mußte eine Unsumme
von Geld dabei einnehmen.
Von der
Straße herauf erscholl Trommelwirbel. Ein Signalhorn ertönte, eine Baßstimme
kommandierte: »Rührt euch!« Darauf erdröhnte die schmale Treppe unter den
Tritten der Landwehr und des Landsturms, deren bunte Uniformen sich nun
gleichfalls in den Saal ergossen. Hier gab es blutjunge Burschen, die sich
gelobt hatten, nächstes Jahr um diese Zeit in Virginia zu sein, falls der Krieg
so lange dauerte, und alte weißbärtige Männer, die sich wünschten, jünger zu
sein, und doch stolz waren, Uniform zu tragen, stolz in dem Abglanz ihrer Söhne
an der Front. Unter den Landsturmleuten aber erblickte man vereinzelt auch
Männer in felddienstfähigem Alter, die nicht ganz so unbefangen einhergingen
wie die Knaben und Greise. Schon begann es um sie her zu tuscheln und zu
fragen, warum sie nicht bei General Lee an der Front seien.
Wie
sollten sie nur alle in diesem Saal Platz finden! Noch ein paar Minuten vorher
hatte er so groß und leer ausgesehen, und nun war er gedrängt voll. Warme
sommerliche Düfte erfüllten ihn: Eau de Cologne, Riechwasser, Pomade und
brennende Wachskerzen, Blumenduft und schwacher Staub von dem Tritt so vieler
Füße auf den alten verbrauchten Dielen. In dem Lärm und Durcheinander der
Stimmen war fast nichts mehr zu verstehen, und als spürte der alte Levi die
freudige Erregung des Augenblicks, brach er »Lorena« mitten im Takt ab, gab ein
lautes Klopfzeichen mit dem Bogen, und das Orchester spielte, als ginge es ums
Leben, die »Schöne blaue Flagge«. Hunderte stimmten ein, sangen mit, jubelten
das Lied wie einen einzigen Hochruf. Der Hornist des Landsturms stieg auf die
Plattform und fiel ein, gerade als der Refrain begann, und die hohen Silbertöne
stiegen über den Massengesang hinaus, daß es allen durch Mark und Bein ging,
auf nackten Armen die Gänsehaut ausbrach und die Erregung kalte Schauer das
Rückgrat hinunterjagte:
»Hurra,
hurra! Für das Recht des Südens! Für die schöne blaue Flagge, hurra! Nur ein
Stern ziert sie, hurra!«
Dröhnend
stimmten sie den zweiten Vers an. Scarlett hörte, während sie mitsang, wie
hinter ihr Melanies hoher süßer Sopran ebenso klar und eindringlich wie der
Silberklang des Horns aufstieg. Sie drehte sich um und sah Melly mit
geschlossenen Augen und auf der Brust gefalteten Händen dastehen. Feine Tränen
liefen ihr die Wangen hinunter. Als die Musik aufhörte, lächelte sie Scarlett
seltsam zu, verzog ein wenig den Mund, als ob sie sich entschuldigen wollte,
während sie sich mit dem Taschentüchlein die Augen abtupfte. »Ich bin so
glücklich«, flüsterte sie, »und so stolz auf die Soldaten, daß ich weinen muß.«
In ihren Augen leuchtete eine tiefe, fanatische
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