Margaret Mitchell
auch deiner nicht. Mir wäre lieber, beide
wären tot, als hier zu Hause ... Ach, Liebling, sei nicht böse. Wie gedankenlos
von mir!« Bittend strich sie Scarlett, die sie groß ansah, über den Arm.
Scarlett dachte gar nicht an Charlie, sie dachte an Ashley. Wenn er nun auch
stürbe? Rasch wandte sie sich um und lächelte mechanisch, als Dr. Meade auf
ihre Bude zugeschritten kam.
»Na, ihr
Mädel«, begrüßte er sie, »schön, daß ihr gekommen seid. Ich weiß, welche
Überwindung es euch gekostet haben mag. Aber alles für die gute Sache! Ich will
euch ein Geheimnis sagen. Ich habe eine Überraschung vor, mit der ich noch mehr
Geld für das Lazarett einnehmen will. Aber ich fürchte, einige von den Damen
werden Anstoß daran nehmen.« Er hielt inne und zupfte an seinem grauen
Spitzbart.
»Was denn,
was? Bitte erzählen!«
»Nein, ich
glaube, ich lasse es euch lieber raten, ihr werdet schon sehen. Aber ihr
Mädchen müßt für mich eintreten, wenn die Kirchenvorstände mich deshalb aus der
Stadt jagen wollen.« Feierlich schritt er auf eine Gruppe Chaperons in einer
Ecke zu, und gerade, als die beiden Mädchen die Köpfe zusammengesteckt hatten,
um herauszubekommen, was er wohl vorhaben könnte, kamen zwei ausgelassene alte
Herren schnurstracks auf die Bude zu und verlangten mit lauter Stimme zehn
Ellen Spitzen. Scarlett begann abzumessen und ließ es geschehen, daß man sie
unters Kinn faßte. Dann zogen die beiden ab, und hin und wieder nahm ein
anderer ihren Platz vor der Auslage ein. So viel Kunden hatten sie nicht wie
die andern Buden, wo Maybelle Merriwethers gurrendes Lachen und Fanny Elsings
Kichern erklang und die schlagfertigen Antworten der Whitingschen Mädchen
allgemeine Lustigkeit erregten. Ruhig und gelassen wie ein Ladenbesitzer
verkaufte Melly unnützes Zeug an Männer, die nie irgendeinen Gebrauch davon
machen konnten, und Scarlett suchte es ihr gleichzutun. Einige Male erzählten
Käufer, daß sie mit Ashley auf der Universität gewesen waren und was für ein
ausgezeichneter Soldat er sei, oder sie sprachen voller Hochachtung von
Charles, und welchen Verlust sein Tod für Atlanta bedeute. Dann schmetterte die
Musik die ausgelassene Melodie »Johnny Booker, hilf dem Nigger!«. Scarlett
hätte schreien mögen. Sie wollte tanzen! Sie blickte über den Tanzboden hin und
klopfte mit dem Fuß den Takt. Ihre grünen Augen schillerten lebenshungrig. Auf
der andern Seite des Saales bemerkte ein Mann, der soeben in die Tür getreten
war, den Blick dieser schrägen Augen in dem rebellischen Gesicht, erkannte sie
und stutzte. Dann lächelte er vor sich hin, denn er entzifferte in ihnen, was
jedes männliche Wesen sofort zu entziffern vermag.
Er war
hochgewachsen, trug einen eleganten schwarzen Tuchanzug und überragte alle
Umstehenden. Seine Schultern waren von gewaltiger Breite, aber nach der Taille
zu wurde er immer schlanker bis hinunter zu den auffallend kleinen Füßen in Lackstiefeln.
Seine gepflegte Kleidung stach wunderlich von der Strenge seiner ganzen
Erscheinung und besonders seines Gesichtes ab. Das war die Kleidung eines
Dandys auf einem Athletenkörper. Er hatte kohlschwarzes Haar und einen
kurzgeschnittenen Schnurrbart, der neben den martialischen Schnauzbärten der
Kavallerieoffiziere fast fremdartig anmutete. Er trug eine gelassene,
überlegene Unverschämtheit zur Schau. In dem frechen Blick, mit dem er Scarlett
ansah, funkelte es boshaft, bis sie den Blick endlich spürte und zu ihm
hinblickte. Einen Augenblick lang konnte sie sich nicht darauf besinnen, wer er
war. Als er sich verbeugte, grüßte sie wieder, aber als er sich mit seinem
eigentümlich geschmeidigen, indianerhaften Gang zu ihr aufmachte, fuhr die Hand
vor Entsetzen zum Mund. Sie wußte nun, wer er war, und stand wie vom Blitz
getroffen, während er sich durch die Menge Bahn brach. Dann machte sie
blindlings kehrt und wollte in die Erfrischungsräume entfliehen, aber ihr Rock
verfing sich an einem Nagel. Wütend riß sie sich los, da stand er schon neben
ihr.
»Erlauben
Sie«, sagte er höflich, beugte sich vor und brachte ihre Rüschen in Ordnung.
»Ich hatte kaum gehofft, Miß O'Hara, daß Sie mich wiedererkennen würden.«
Es war die
schön modulierende Stimme eines Gentleman, klangvoll und doch belegt, in der
trägen, verschliffenen Mundart Charlestons. Sie war ihrem Ohr eigentümlich
angenehm. Hochrot vor Scham über ihr letztes Zusammentreffen blickte sie zu ihm
auf und sah die kohlschwarzen Augen in
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