MargeritenEngel (German Edition)
zu stehen. Ich fühle mich fast fremdgesteuert, als ich aus meinen Klamotten schlüpfe und die Hose anziehe.
Sie sitzt eng, wie eine zweite Haut. Der Anblick ist irritierend, aber auch aufregend. Ich bin früher so gern gelaufen, ich kann mich gar nicht erinnern, warum ich es aufgegeben habe. Vielleicht ist es albern, vielleicht ist es vollkommen sinnlos…
Noch ehe ich wirklich darüber nachdenke, habe ich schon meine Turnschuhe an, den MP3-Player eingeschaltet und stehe vor der Haustür. Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht, aber ich spüre ihn kaum. Meine Wangen brennen wie Feuer. Ich zittere vor Aufregung.
Als ich mich in Bewegung setze, fühlt es sich befremdlich an. Die ersten Schritte fallen mir schwer, ich weiß nicht einmal genau, in welche Richtung ich laufen soll. Es ist, als wenn ich die Welt hinter mir lassen würde, je weiter ich laufe.
Ich bin zu schnell, die Luft wird knapp, mein Puls rast, aber ich kann nicht stehen bleiben. Ich höre auf das gleichmäßige Geräusch, das meine Füße auf dem Gehweg verursachen, und versuche, bewusst zu atmen.
Allmählich verändert sich meine Körperhaltung, aus dem Rennen wird ein Laufen. Es ist ein bisschen wie früher, als Joggen die einzige Alternative war, um mit meinen Leben klarzukommen. Ohne dieses Gefühl hätte ich es in der Schule nicht überlebt. Damals bin ich jeden Tag gelaufen. Es war alles, was ich hatte, was mir Kraft und Energie gegeben hat.
Die Musik in meinen Ohren motiviert mich, macht mich frei. Ich laufe und spüre diese enorme Kraft in mir. Das bin nur noch ich, Bengt Engel. Ich kann mich fühlen, spüre, wie mein Körper mich vorantreibt. Ein seltsames Glücksgefühl nimmt von mir Besitz und treibt mich weiter.
Kapitel 5
Yoga vs. Zumba
Den ganzen Tag bin ich unkonzentriert und nervös. Aber jetzt, kurz vor Feierabend, rumort es wie verrückt in meinem Bauch. Es ist Mittwoch. Stoisch habe ich alle Bemerkungen von Kevin ertragen, sogar seine Wut, als ich ihn gestern Abend noch einmal daran erinnert habe, dass ich heute später nach Hause komme.
Zuerst hat er versucht, mich aufzuziehen, hat mir in die Seite gepiekst und gesagt, dass ich viel zu ungelenkig wäre. Dann ist er wütend geworden und hat gemeint, dass ich meine Zeit nicht mit so einem Müll vergeuden soll und dass er keine Lust hätte, den ganzen Abend auf mich zu warten.
Normalerweise zieht dieses Argument immer und ich beeile mich, nur um dann allein zu Hause herumzusitzen. Aber dieses Mal bin ich stur geblieben. Ich habe ihm gesagt, dass ich hingehen werde. Wenigstens einmal. Am Ende habe ich keinen Gute-Nacht-Kuss von Kevin bekommen. Das ist der Moment gewesen, in dem ich fast eingeknickt wäre.
Kevin ist auch nicht von meiner Laufaktion begeistert gewesen. Im Gegenteil. Als ich am Sonntag vollkommen erledigt nach Hause gekommen bin, hat mich ein überaus schlecht gelaunter Freund erwartet.
Ich hatte mein Handy zu Hause vergessen. Er hat mich nicht erreichen können und das hat ihn rasend gemacht. Er hat mir nicht geglaubt, obwohl ich Sportklamotten getragen und gekeucht habe, als ob ich einen Marathon gelaufen wäre, und zudem verschwitzt gewesen bin. Wo hätte ich in diesem Aufzug denn gewesen sein sollen?
Wie immer gehören die letzten Minuten meiner Schicht Frau Schumann. Gerade als ich die Hand auf die Klinke lege, klingelt mein Handy.
Genervt ziehe ich es aus meiner Hosentasche. Das kann nur Kevin sein. Ich habe keine Lust, mir noch mehr Vorhaltungen anzuhören.
Überraschenderweise sehe ich allerdings eine unbekannte Nummer auf dem Display.
»Hallo?«, frage ich zögernd.
»Hey, Bengt. Hier ist Rik.«
Ein seltsames Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus, aber auch Unbehagen. Er wird hoffentlich nicht absagen.
»Hey… woher hast du meine Nummer?«, ist das erste, was mir einfällt.
»Von Kevin«, antwortet er leise lachend.
»Okay…« Vielleicht hat Kevin ihn darum gebeten, mir abzusagen. Zuzutrauen wäre es ihm. Obwohl ich nicht sicher bin, ob sich Rik davon beeindrucken lässt.
»Bengt?«, ruft er in den Hörer. Erschrocken stelle ich fest, dass ich ihm nicht zugehört habe.
»Ähm…«, bringe ich heraus und komme mir total bescheuert vor.
»Hörst du mir zu?«, fragt Rik amüsiert.
»Hm.« Mein Wortschatz scheint auf ein Minimum zusammengeschrumpft zu sein.
»Wir haben ein kleines Problem«, fängt er noch einmal an und mir rutscht das Herz in die Hose. Er wird bestimmt absagen! »Ich habe eben erst erfahren, dass
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