MargeritenEngel (German Edition)
vergessen kann. Manchmal, wenn Kevin neben mir im Bett liegt und trotzdem meilenweit entfernt scheint, wenn ich mich so verloren fühle, dann kann ich sie spüren. Die Wärme, die von Rik direkt in mich hineingeströmt ist. Sie verursacht noch immer ein Kribbeln auf meiner Haut, vielleicht sogar das Gefühl von Stärke.
Ich kann mich nicht erinnern, dass sich bei Kevin eine Umarmung jemals so angefühlt hat. Meist haben seine Berührungen nur ein Ziel und sind weniger ein Geben als ein Nehmen. Er saugt meine Kraft ein, bereichert sich an meiner Energie, ohne etwas davon zurückzugeben.
»Bist du sicher?«, reißt mich Frau Schumann aus meinen Gedanken.
»Was?«, frage ich irritiert. In meinem Kopf herrscht das totale Chaos. Das geht schon seit Tagen so. Ich versuche, zu begreifen, was da mit mir passiert, aber es gelingt mir nicht. Ich finde keine Erklärung. Aber vor allem habe ich unglaubliche Angst, wie sie aussehen könnte.
»Ob du dir sicher bist, dass alles in Ordnung ist«, wiederholt Frau Schumann schmunzelnd.
»Ja… ja, wirklich. Alles wie immer.«
»Wie immer? Hm, das klingt nicht besonders überzeugend. Was ist mit dem Tanzen? Gehst du da noch hin?«, wechselt sie abrupt das Thema.
»Ja«, antworte ich grinsend.
Sie hebt ihre rechte Augenbraue und sieht mich mit spitzem Blick an. »Und?«
»Es macht mir Spaß. Rik ist ein großartiger Trainer, obwohl ich das natürlich nicht wirklich beurteilen kann. Ich werde langsam besser, auch wenn ich bei manchen Schrittfolgen immer noch das Gefühl habe, meine Beine für alle Zeit zu verknoten. Der Muskelkater wird weniger und ich bin auch nicht mehr nach dem ersten Lied vollkommen außer Atem, sondern erst nach dem zweiten«, berichte ich ihr lachend.
»Hauptsache, du hast Spaß dabei.« Sie zwinkert mir zu. »Was sagt denn Kevin dazu?«
»Nichts.« Ich versuche, gleichgültig zu klingen, aber das ist nicht so einfach.
Kevin ist nicht begeistert. Seit drei Wochen nörgelt er. Bei Rik versucht er das auch, sogar noch viel deutlicher, aber Rik lässt sich davon nicht beeindrucken. Er hat meist eine passende Antwort, die Kevin den Wind aus den Segeln nimmt. Ich dagegen kann nicht begreifen, wieso er sich nicht für mich freut.
Ich gehe nicht mehr mit den anderen in die Kneipe, obwohl mich die Frauen jedes Mal fragen. Eigentlich würde ich schon gern mitgehen, denn ich mag die anderen. Sie vermitteln mir das Gefühl, dazuzugehören. Aber ich möchte nicht, dass sich Kevin noch mehr aufregt. Es ist auch so nicht leicht, sein Gemecker zu ertragen. Einzig das Glücksgefühl, das mich beim Tanzen durchflutet, bringt mich dazu, den Kurs nicht abzusagen. Und natürlich auch die Aussicht, ein paar mehr Bauchmuskeln zu bekommen und einen festeren Hintern.
»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass dein Gesicht wie ein offenes Buch ist?«
»Hm?«, nuschle ich überrascht. Rik hat neulich etwas Ähnliches gesagt...
»Es gefällt Kevin nicht«, stellt Frau Schumann in neutralem Ton fest und legt das Strickzeug zur Seite. »Aber du wirst damit trotzdem weitermachen, oder?«
»Er ist nicht besonders begeistert«, gebe ich zu. »Rik und er kennen sich von früher und ich glaube, es ist Kevin wichtig, dass die Freundschaft wieder auflebt. Jedenfalls kommt es mir so vor.«
»Ein paar gute Freunde sind wichtig«, sinniert Frau Schumann. Ich nicke, sage allerdings nichts dazu.
»Du hast ja bald Geburtstag«, wechselt sie abrupt das Thema.
»Wird das ein Geschenk?«, frage ich grinsend.
Sie betrachtet die bereits verstrickte Wolle und schüttelt den Kopf. »So schnell bin ich nicht mehr. Aber ich hatte mal wieder Lust auf einen Schal… ist ja noch ein wenig Zeit bis zum Winter.« Sie lacht. Die Bitterkeit darüber, dass sie nicht schneller vorankommt, kann das Lachen allerdings nicht verbergen.
»Das ist eine tolle Farbe«, versuche ich, sie aufzumuntern.
»Ja, das finde ich auch. Ich musste gleich an dich denken, als ich die Wolle in der Hand hatte. Sie passt so gut zu deinen Augen.«
»Da freue ich mich jetzt schon auf den Winter.«
»Aber erst einmal wollen wir den Frühling genießen und den Sommer auch. Und deinen Geburtstag! Also, hast du schon was geplant?«
Die gleiche Frage hat Kevin gestern auch gestellt. Ich kann mich nicht daran erinnern, schon jemals einen Plan für meinen Geburtstag gemacht zu haben. Ich bin kein Fan von großen Feiern, schon gar nicht, wenn ich dabei im Mittelpunkt stehe. Am liebsten würde ich die Wohnung nicht verlassen, das
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