Margos Spuren
Schoß liegt, und beiße ab. Eine Weile ist es wieder still, und ich denke darüber nach, wie wir andere Menschen sehen und doch nicht sehen, über die getönten Scheiben zwischen mir und dieser Frau, die immer noch neben uns ist, über all die Fenster und Spiegel an beiden Autos, während wir nebeneinander über die volle Fahrbahn kriechen. Als Radar weiterredet, merke ich, dass er ähnliche Gedanken hat.
»Der Witz bei ›Der Typ ist ein Gigolo‹«, sagt Radar, »ist, dass es mehr über den verrät, der die andere Person beschreibt, als über die Person selbst.«
»Ja«, sage ich. »Genau das habe ich auch gerade gedacht.« Unwillkürlich kommt mir der Gedanke, dass Walt Whitman bei all seiner polternden Schönheit vielleicht ein bisschen zu optimistisch gewesen ist. Wir können andere hören, wir können zu ihnen reisen, ohne uns zu bewegen, wir können sie uns vorstellen, und wir sind durch ein irrsinniges Wurzelsystem alle miteinander verbunden, genau wie die Grashalme auf einer Wiese – doch unser Spiel lässt mich daran zweifeln, ob wir je wirklich einander werden können.
Siebte Stunde
Endlich schieben wir uns an dem umgekippten Sattelschlepper vorbei und können wieder Geschwindigkeit aufnehmen, doch Radar rechnet im Kopf aus, dass wir ab jetzt bis Agloe im Durchschnitt hundertvierundzwanzig fahren müssen. Es ist eine ganze Stunde her, dass Ben verkündet hat, er müsse pinkeln, und der Grund dafür ist einfach : Ben schläft. Um Punkt sechs hat er einen Messbecher Wick MediNait getrunken. Er hat sich auf die letzte Bank gelegt, und dann haben Lacey und ich ihn mit zwei Gurten festgeschnallt, was für ihn unbequem war, doch 1. war es zu seinem Besten, und 2. wussten wir alle, dass er in zwanzig Minuten jede Unbequemlichkeit vergessen hätte, denn er würde tief und fest schlafen. Und genauso ist es. Um Mitternacht wollen wir ihn wieder wecken. Eben habe ich Lacey ins Bett gebracht, um neun, in der gleichen Position auf der mittleren Bank. Wir wecken sie um zwei Uhr früh. Die Idee dahinter ist, dass jeder eine Mütze Schlaf bekommt, damit wir uns morgen früh, wenn wir in Agloe einlaufen, nicht die Augenlider mit Tesa festkleben müssen.
Der Van ist zu einem kleinen Haus geworden : Ich sitze auf dem Beifahrersitz, der so was wie der Hobbyraum ist. Es ist, finde ich, der beste Ort im Haus : jede Menge Platz, und der Sessel ist bequem.
Im Fußraum vor dem Beifahrersitz ist das Büro, wo die Straßenkarte der Vereinigten Staaten liegt, die Ben an der Tankstelle gekauft hat, die Wegbeschreibung, die ich ausgedruckt habe, und die Schmierzettel mit Radars Berechnungen zu Tempo und Strecke.
Radar auf dem Fahrersitz ist im Wohnzimmer. Das Wohnzimmer ist so ähnlich wie der Hobbyraum, nur dass man nicht ganz so locker abhängen kann. Außerdem ist es ordentlicher.
Zwischen Wohnzimmer und Hobbyraum ist die Mittelkonsole oder die Küche. Hier bewahren wir die üppigen Bestände an Bifis und GoFast-Riegeln auf und einen magischen Energydrink namens Bluefin, den Lacey auf die Einkaufsliste gesetzt hat. Bluefin wird in kleinen, aufwendig verzierten Glasflaschen verkauft und schmeckt wie blaue Zuckerwatte. Das Zeug hält einen wacher als sonst irgendwas in der Geschichte der Menschheit, auch wenn es einen ein bisschen hibbelig macht. Radar und ich haben uns darauf geeinigt, das Zeug bis zwei Stunden vor Schichtende zu trinken. Meine Schicht endet um Mitternacht, wenn Ben aufwacht.
Die erste Rückbank ist das Kinderschlafzimmer. Es ist weniger abgeschirmt, weil es so nahe an Küche und Wohnzimmer ist, wo die Leute wach sind und sich unterhalten und manchmal Musik im Radio hören.
Dahinter ist das Elternschlafzimmer, wo es dunkler und stiller ist und insgesamt besser als im ersten.
Und dahinter ist der Eisschrank oder Kühlraum, wo zurzeit zweihundertzehn Bierflaschen lagern, in die Ben noch nicht gepinkelt hat, und außerdem die Truthahn-der-wie-Schinken-aussieht-Sandwiches und ein paar Flaschen Cola.
Über das Haus lässt sich nur Gutes sagen. Es ist vollständig mit Teppichboden ausgelegt. Es hat Zentralheizung und eine Klimaanlage. Jedes Zimmer ist mit Surroundton ausgestattet. Zugegeben, es sind nur fünfeinhalb Quadratmeter Wohnfläche. Aber der offene Grundriss ist nicht zu schlagen.
Achte Stunde
Als wir die Grenze nach South Carolina passieren, erwische ich Radar beim Gähnen und bestehe auf Fahrerwechsel. Außerdem fahre ich gerne – auch wenn das Gefährt ein Kleinbus ist, es ist mein
Weitere Kostenlose Bücher