Margos Spuren
wach, indem er neben mir drauflosquasselt. Wir reden über Margo.
»Hast du schon mal drüber nachgedacht, wie wir Agloe überhaupt finden sollen?«, fragt er mich.
»Ich weiß ungefähr, an welcher Kreuzung es sein müsste«, sage ich. »Und mehr als eine Kreuzung ist es nicht.«
»Und da sitzt sie an der Ecke auf der Motorhaube, dreht Däumchen und wartet auf dich?«
»Das wäre praktisch«, antworte ich.
»Alter, ich muss zugeben, ich mache mir irgendwie Sorgen, dass … Ich meine, wenn nicht alles so läuft, wie du geplant hast … dass du enttäuscht bist.«
»Ich will sie nur finden«, sage ich, weil es so ist. Ich will, dass sie gefunden wird – wohlauf und lebendig. Ich will, dass die Saite gespielt wird. Alles andere ist zweitrangig.
»Okay, aber … Ich weiß auch nicht«, sagt Ben. Ich spüre, wie er mich ansieht – der ernste Ben. »Nur, denk einfach dran, dass Leute manchmal nicht so sind wie das Bild, das du von ihnen hast. Lacey zum Beispiel, ich fand sie immer so scharf und so toll und so cool, aber jetzt, wo wir zusammen sind … Es ist nicht dasselbe. Menschen sind anders, wenn du sie riechen kannst und aus der Nähe siehst, weißt du, was ich meine?«
»Das weiß ich«, sage ich. Ich weiß, wie lange ich ein falsches Bild von ihr hatte und wie weit ich danebenlag.
»Ich meine nur, vorher war es einfach, Lacey zu mögen. Jemand aus der Ferne toll zu finden ist das Einfachste auf der Welt. Aber als sie auf einmal nicht mehr die tolle, unerreichbare Puppe war, sondern anfing ein ganz normales Mädchen zu sein, mit einer komischen Beziehung zum Essen und regelmäßigen Zickenanfällen, das gern rumkommandiert – da musste ich anfangen einen ganz anderen Menschen zu mögen.«
Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. »Du meinst, ich mag die echte Margo gar nicht? Nach all dem … Ich sitze seit zwölf Stunden in dieser Karre, und du denkst tatsächlich, in Wirklichkeit mag ich sie nicht, weil ich sie nicht …« Ich unterbreche mich. »Nur weil du jetzt eine Freundin hast, denkst du, du stehst oben auf der Kanzel und kannst mir eine Predigt halten? Du bist echt ein A –«
Ich breche ab, weil ich am äußeren Rand des Scheinwerferkegels das Ding sehe, das mich töten wird.
Nichts ahnend stehen zwei Kühe mitten auf der Autobahn. Sie tauchen ganz plötzlich im Sichtfeld auf, eine gefleckte Kuh auf der linken Spur und ein riesige Monsterkuh auf unserer, so breit wie der ganze Wagen, stocksteif, bis sie den Kopf umdreht und uns mit leerem Blick anstarrt. Die Kuh ist schneeweiß, eine weiße Wand aus Kuh, die weder über- noch umfahren werden kann. Ich kann sie nur rammen. Ich weiß, dass Ben sie auch sieht, denn ich höre, wie sein Atem stockt.
Es heißt, im letzten Augenblick spult sich das ganze Leben noch mal ab, doch bei mir ist es anders. Vor meinen Augen spult sich nichts ab außer das riesige Ausmaß von schneeweißem Fell eine Mikrosekunde von uns entfernt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Nein, das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass ich nichts tun kann, außer gegen die weiße Wand fahren, die uns töten wird, das Tier und uns, uns alle. Ich trete auf die Bremse, eher aus Reflex als aus Hoffnung : Nichts, was ich tun kann, kann verhindern, was gleich passiert. Ich lasse das Lenkrad los und hebe die Hände. Ich weiß nicht, warum, aber ich hebe die Hände, als würde ich mich ergeben. Ich denke den fantasielosesten Gedanken der Welt : Ich denke, ich will nicht, dass das passiert. Ich will nicht sterben. Ich will nicht, dass meine Freunde sterben. Und um ehrlich zu sein, als die Zeit anhält und ich die Hände in der Luft habe, wird mir noch ein Gedanke gestattet, und dieser Gedanke geht an sie. Ich gebe ihr die Schuld an dieser lächerlichen verhängnisvollen Jagd – sie hat uns in Gefahr gebracht und mich zu dem Blödmann gemacht, der die ganze Nacht auf ist und zu schnell fährt. Wenn sie nicht wäre, würde ich jetzt nicht sterben. Ich wäre zu Hause, so wie ich immer zu Hause gewesen bin, und ich wäre in Sicherheit und würde das tun, was ich immer schon tun wollte, nämlich erwachsen werden.
Nachdem ich die Kontrolle über den Wagen aufgegeben habe, überrascht mich eine Hand am Lenkrad. Wir ändern den Kurs, bevor ich begreife, warum wir den Kurs ändern, und dann begreife ich, dass Ben das Lenkrad herumreißt, im verzweifelten Versuch, der Kuh auszuweichen, und dann sind wir auf dem Seitenstreifen und dann auf dem Feld. Ich höre, wie die Reifen
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