Maria, Mord und Mandelplätzchen
Tante Hedi und mich.
Die grinst mich jetzt an.
»Was heckst du nur aus?«, frage ich, aber sie kontert: »Sherry oder Prosecco?«
Ich grinse zurück, es ist kurz nach drei, meine Mutter würde entsetzt die Hände zusammenschlagen, dass jemand um diese Uhrzeit auf die Idee käme, Alkohol zu trinken.
»Prosecco«, zwinkere ich und weiß, dass Tante Hedi jetzt das Gleiche denkt wie ich. Als schwarze Schafe würde ich uns jetzt zwar nicht gerade bezeichnen, aber der Begriff »schillernde Vögel« passt bestimmt. Auf dem Weihnachtsmarkt in meiner jetzigen Heimatstadt Bremen habe ich vor ein paar Tagen so kitschig-bunte Vögel aus Metall als Tannenbaumanhänger gefunden, davon habe ich gleich zwei gekauft. Einen für Tante Hedi und einen für mich. Passt zu uns, finde ich. Im Grunde meines Herzens vermute ich, dass es nur Tante Hedi ist, die mich jedes Jahr Weihnachten nach Haus zieht. Meine Eltern und meine ach so Mainstream laufenden Geschwister mit ihren Familien öden mich ziemlich an. Obwohl … meiner Nichte, der kleinen Jolina, sitzt mit ihren drei Jahren auch schon der Schalk im Nacken. Ich amüsiere mich jedes Mal darüber, wie sehr sie mich an Tante Hedi erinnert und dass sowohl mein Bruder als auch seine knochige Gattin nicht wirklich wissen, wie sie mit der Wirbelwind-Jolina umgehen sollen.
»Holst du die Gläser aus dem Schrank?« Tante Hedi verschwindet kurz in der Küche und kommt mit einer Flasche zurück. Natürlich schenkt sie so schwungvoll ein, dass Schaum überläuft. Gleichzeitig beugen wir uns vor, um ihn mit der Zunge aufzufangen. Lachend prosten wir uns anschließend zu.
»Du musst mir in die Augen gucken«, sagte sie ernst, »sonst gibt es sieben Jahre schlechten Sex. Das wollen wir doch nicht.« Ich verschlucke mich fast bei diesem Ausspruch. Was ist nur in Tante Hedi gefahren?
Wieder lacht sie kieksend. »Der Weihnachtsmann ist ein Stripper«, flötet sie. Ihre Augen strahlen dabei. »Für Frieda, Anneliese und vor allem für Doris. Es ist eine kleine Revanche.«
Ich runzle die Stirn. »Eine Revanche? Was hast du vor?«
Tante Hedi übergeht meine Fragen. »Einen knackigen Stripper hab ich bestellt. Einen, der im Fitnessstudio trainiert und vor uns seine Muskeln spielen lässt.« Sie verzieht den Mund, als müsse sie sich beherrschen. »Hoffentlich alle Muskeln!«
»Tante Hedi!« Ich gebe mir Mühe, meine Bestürzung zu verbergen, muss mich allerdings auch beherrschen, um nicht laut loszuprusten.
»Ach, tu nicht so«, ihr Grinsen ist ansteckend, »es wird bestimmt geil!«
»Tante Hedi!!!!« Nun bin ich wirklich entsetzt. Ein solches Wort aus dem Mund meiner Tante. Das ist jetzt eindeutig zu viel! Sie sollte ein lustiges, aber gepflegtes Vokabular benutzen, das ihrem Alter entspricht. Geil. Also nein. Man kann auch andere Worte finden. Wird sie vielleicht doch langsam senil? Altersblöd?
»Einen Weihnachtsmann-Stripper«, wiederholt sie befriedigt. »Freu dich man schon. Erst gibt’s Kaffee, Kuchen und Klaben, dann klingelt es, und der Weihnachtsmann kommt. Und während Frieda, Anneliese und Doris denken, nun wird’s besinnlich, gibt er mir ’ne CD , die werf ich ein, und dann legt er los. Das wird vielleicht ein Spaß! Das werden die Mädels ihr Lebtag nicht vergessen. Wer weiß, ist vielleicht das letzte Mal, dass sie so ’nen nackigen Kerl sehen. Da tu ich doch glatt ein gutes Werk. Findest du nicht?«
»Prost«, sage ich und trinke erst mal einen Schluck. Denke an die gesundheitlichen Zustände von Hedis Freundinnen, komme aber schnell zu dem Schluss, dass es Schlimmeres gibt, als im Alter von Ende siebzig beim Anblick eines strippenden jungen Mannes einem Herztod zu erliegen. Und ehrlich gesagt merke ich, wie die Vorfreude mich nun auch packt.
»Möchtest du noch einen Schluck?« Tante Hedi hält mir die Flasche hin, und überrascht registriere ich, dass mein Glas bereits fast leer ist.
»Nein danke.« Ich möchte schließlich nüchtern sein bei dem, was da augenscheinlich auf uns zukommt. Immerhin muss zumindest eine den Notarzt rufen können. Ich stelle mein Glas auf den liebevoll gedeckten Tisch. Auf jedem Teller liegt ein kleiner Schoko-Weihnachtsmann, Tannenzweige schmücken einen länglichen Leuchter, auf dem vier dicke rote Kerzen brennen. Aber auch vier kleine Umschläge liegen als Deko zwischen Kuchen, Klaben und Keksen. Ich schaue meine Tante fragend an. Sie lächelt verschmitzt.
»Lass dich überraschen«, singt sie die Melodie, die Rudi Carrell über
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