Maria, Mord und Mandelplätzchen
sehen und unterhielten sich nur über Belangloses. Selbst die elektrischen Kerzen am Weihnachtsbaum blieben ausgeschaltet. Renate besuchte ihre Mutter im Altenheim und danach sogar ihre Schwester, obwohl sie deren lärmende Gören kaum ertragen konnte. Ludmilla verbrachte den Tag fernsehend in ihrem Zimmer. Nebenbei begann sie, in ihren botanischen Nachschlagewerken über Giftpflanzen zu recherchieren. Falls Goswin versagen sollte – und das war zu erwarten, denn Goswin war der klassische Versager –, würde sie eben Karlos Glenmorangie mit Bilsenkraut vergiften, obwohl das natürlich stark auf sie als Täterin hindeuten würde.
Goswin dagegen belauerte Karlo vom frühen Morgen an auf Schritt und Tritt. Karlo schlief bis acht, ging dann Schneeschippen, hackte Holz, spazierte um den Maschsee, und als es dämmerte, las er seinen Dostojewski am Kaminfeuer. Niemand wagte, sich ihm zu nähern, er hatte plötzlich die Ausstrahlung eines fremden Tieres, von dem man nicht weiß, wie es auf Berührung reagieren wird.
Am späten Abend standen dann plötzlich Karlos Laufschuhe an der Garderobe – wie eine stumme Aufforderung.
Goswin rückte schon um sieben Uhr aus, um rechtzeitig zur Stelle zu sein und um möglichst ungesehen zu seinem Ziel zu gelangen. Aber unter der Mütze und mit dem Schal, den er bis über die Nase gezogen hatte, würde ihn ohnehin niemand erkennen. Unter den Lederhandschuhen trug er drei Lagen Einmalhandschuhe aus Silikon, wegen der Schmauchspuren. Er hatte im Steinbruch das Schießen mit den dick behandschuhten Händen geübt. Die alten Moonboots, die er trug, würde er hinterher wegschmeißen, falls die Polizei Spuren im Schnee finden sollte. Es hatte in den letzten Tagen immer wieder Schneefälle gegeben, und auch für heute waren Niederschläge angekündigt worden. Umso besser. Es war noch dunkel, und der Morgen war klirrend kalt. Der Schnee knirschte laut unter Goswins Sohlen. Niemand begegnete ihm, weder auf der Straße noch in der Eilenriede. Er brauchte seine Taschenlampe, um an die Stelle zu gelangen, die er sich für seine Tat ausgesucht hatte. Sie lag östlich vom Messeschnellweg, in einem Abschnitt des weitläufigen Stadtwaldes, der wenig frequentiert wurde. Am Wegrand hinter einer Biegung gab es einen mannshohen Stapel aus meterlang abgesägten Baumstämmen, die schon so lange dort lagerten, dass sie bereits zu faulen anfingen. Goswin kannte Karlos Laufstrecke genau. Er hatte ihn ein paar Mal begleitet, jeder Meter war eine Qual, mit Karlos Tempo hatte er nicht mithalten können. Schließlich hatte er sich auf seinen empfindlichen Meniskus berufen und das Joggen wieder aufgegeben.
Er erreichte besagte Stelle, als es gerade zu dämmern begann. Die fahle Morgensonne beschien eine Winterlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Die kahlen Äste des Mischwaldes waren weiß überzuckert, durch die frische Schneedecke zogen sich Spuren von Tieren. Frierend und auf der Stelle tretend, lauerte Goswin hinter dem Holzstoß, den Weg stets im Blick. Bis Karlo vorbeikommen würde, würde es bestimmt noch eine Stunde dauern. Hoffentlich waren bis dahin seine Finger nicht steifgefroren. Er musste auch dringend pinkeln, aber das ging jetzt nicht, wegen der DNA -Spuren, die er damit hinterlassen würde. Ein Motorengeräusch näherte sich. Goswin duckte sich tief hinter das harzig duftende Holz, und schon donnerte ein Trecker an ihm vorbei, der einen Schneepflug vor sich herschob. Während das Schneeräumen in der Stadt zum Ärger aller Bürger nur sehr schlecht funktionierte, waren die Wege in der Eilenriede stets penibel geräumt, was daran lag, dass hier im Wald nicht die Stadtreinigung, sondern das Forstamt für diese Aufgabe zuständig war. Lange hing der Dieselgestank des Treckers in der windstillen Luft. Goswin wurde davon ein bisschen übel, aber er ermahnte sich, durchzuhalten. Er dachte an seinen 944 er Porsche, silbergrau mit schwarzen Ledersitzen. Oder doch lieber rot? Eine Krähe flog laut krächzend über ihm auf, er schrak zusammen. Herrgott, wann kommt endlich Karlo? Goswin war kein naturverbundener Mensch, sein Bedarf an Grün war mit ein wenig Schnittlauch in der Suppe vollends gedeckt, und so ein großer Wald hatte etwas Unheimliches, besonders, wenn man ganz alleine war. Hatte er nicht neulich in der Zeitung gelesen, dass in Deutschland die Wölfe wieder auf dem Vormarsch waren? Er tastete nach der Pistole unter seiner Daunenjacke. Ein beruhigendes Gefühl, bewaffnet zu sein.
Da,
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