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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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Ausweg gäbe, eine Möglichkeit zur Flucht. Wenn man fliegen könnte … Tom hörte die Katze schnurren. Das Mistvieh wich seinem neuen Star nicht von der Seite. Und Johnny rannte unten in der Halle herum, bellte blöde und hatte nichts begriffen.
    Der Tannenbaum.
    Die Hälfte der Treppe lag schon hinter Tom, viel Zeit blieb nicht mehr.
    Der Tannenbaum war eine Chance. Es würde weh tun, klar, aber es war eine Chance. Über Sannchen unten stiegen blaue Wölkchen auf. Sie drehte sich nicht um, konnte ja kein Blut sehen, die Ärmste.
    Da, ein Geräusch! An der Haustür! Ein dunkler Schatten!
    Der Typ hatte es auch gehört. Jemand fummelte von außen einen Schlüssel ins Schloss. Das war die Gelegenheit. Das war die halbe Sekunde Ablenkung, die Tom brauchte. Er flankte über das Geländer, stieß sich mit beiden Füßen ab, gar nicht mal so unelegant, wie er fand. Hinter ihm ein Schrei, mehr ein Brüller, ein Schuss knallte, aber Tom fühlte keinen Schmerz. Er konnte nämlich doch fliegen, für eine Sekunde nur, aber er flog, in den Weihnachtsbaum hinein, in das silberne Geblinke und all die mörderspitzen Nadeln und Tonnen von Lametta. Er krallte sich in der Deko fest, die Tanne kippte, und eine Sekunde später lag Tom über und über gespickt mit qualitativ hochwertigen Nordmanntannennadeln auf dem Boden. Er rappelte sich hoch, auf die offene Haustür zu, die Alte mit sperrangelweit aufgerissenem Mund, er fühlte die kalte Luft, die ihm entgegenströmte, er lief, lief, lief wie noch nie in seinem Leben. Und es fiel kein weiterer Schuss, und der eiskalte Regen war eine göttliche Wohltat. Sein Rad stand wunderbarerweise, weihnachtswunderbarerweise immer noch an seinem Platz.
     
    Yvonne spielte versunken mit ihrer rosafarbenen Barbie Boutique. Die großen Kinderaugen glänzten, das rotblonde Haar schimmerte im Weihnachtslicht. Kevin war hin und weg von seiner Autorennbahn und versuchte wieder und wieder, zwei Autos gleichzeitig aus dem Doppellooping zu schießen, indem er kurz vor dem höchsten Punkt das Gas wegnahm. Zu seinem Leidwesen war er einen halben Kopf kleiner als seine Schwester und pummelig. Das rotblonde Haar war dasselbe. Wie abgekupfert, sagten manche und fanden das witzig. Die kleine Fichte, die Tom am Vormittag kurz vor Ladenschluss äußerst preisgünstig ergattert hatte, duftete, wie nur Weihnachtsbäume an Heiligabend duften können. Im Radio spielten sie zum dritten Mal
Stille Nacht,
und Tom fand es immer noch schön. Er hatte versprochen, später in der Boutique ein paar Sachen zu kaufen und ein paar Rennen gegen Kevin zu fahren, die dieser natürlich gewinnen würde. Später. Ein bisschen roch es auch noch nach den Würstchen mit Ketchup, die – zusammen mit Kartoffelsalat – das Weihnachtsmenü gebildet hatten.
    Tom lag langgestreckt auf dem gemütlich knarrenden Sofa und las die kleine Zeitungsmeldung, die er schon zwanzig Mal gelesen hatte. Sie war mit
Mysteriöser Einbruch am Heiligenberg kostet zwei Menschenleben
überschrieben.
    Es war nämlich nicht die Alte, die Tom das Leben gerettet hatte, sondern ihre schwarze Katze. Die war dem Nachbarn genau in dem Moment zwischen die Beine geraten, als Tom sprang. Der Typ war gestolpert, hatte keine Hand frei, um sich am Geländer festzuhalten, und hatte beim sinnlosen Herumfuchteln mit der Knarre abgedrückt und Sannchen in den Rücken geschossen. Eine Sekunde später war er beim Versuch, seine Beute nicht zu verlieren, äußerst dumm mit dem Hinterkopf auf ziemlich harten Marmor geschlagen.
    Eine besondere Tragik ist laut Kriminaloberrat Gerlach von der Heidelberger Kriminalpolizei in dem Umstand zu sehen, dass die Schussverletzung der Frau gar nicht tödlich war.
    Tom schmunzelte zum einundzwanzigsten Mal. Durch den Schlag in den Rücken – ihr Lover hatte sie an der Schulter getroffen – hatte die Zicke nämlich ihre Zigarette eingeatmet. Die nach rekordverdächtig kurzer Zeit eintreffenden Rettungskräfte hatten dies jedoch zunächst nicht bemerkt, sondern nur die Schussverletzung behandelt, die Blutung gestillt, versucht, die Frau zu beatmen. Erst spät, zu spät, war dem jungen und nicht allzu erfahrenen Notarzt aufgefallen, dass seine Patientin inzwischen unter seinen Händen an einer glühenden Zigarette erstickt war. Der Mann hingegen, ein Geschäftsmann eher zweifelhaften Rufs, war sofort tot gewesen. Genickbruch. Die bemitleidenswerte Hausbesitzerin, eine angesehene Professorenwitwe, stand unter Schock und war nicht

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