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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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Übersicht der Geschenke und die Reihenfolge des Verteilens.
    »Keine Sorge, gnädige Frau, wir sind Profis«, versicherte ihr Karl-Heinz und nickte. Gerd nickte auch.
    Rüdiger nickte ebenfalls, auch wenn er in diesem Augenblick noch nicht wusste, worauf er sich da eingelassen hatte, sonst hätte er zweifelsohne seine Christkindbeine in die Hand genommen und wäre gerannt, gerannt, gerannt …
     
    Rüdiger war Schauspieler. Eigentlich.
    Leider kein guter. Und selbst die Guten hatten ja schon Probleme, an Engagements zu kommen. Im Seniorenwohnheim Sonnenberg las Rüdiger bisweilen Rilke- oder Hesse-Gedichte, und im Kinderferientheater Brausemaus war er bereits eine feste Größe als Mädchen für alles, aber die Bretter, die die Welt bedeuten, kannte er noch nicht wirklich. Und seine Fernseherfahrung beschränkte sich auf einen Joghurtwerbespot, in dem man ihn für exakt 0 , 2  Sekunden von hinten auf einer Kuh reiten sah. Manchmal hatte er Glück und bekam bei den Freilichtspielen Schwäbisch Hall eine Statistenrolle, aber das gab finanziell nicht viel her und war ohnehin nur ein Sommerjob.
    Seinen Lebensunterhalt verdiente er also größtenteils mit Gelegenheitsjobs, die er aber immer für sich zu nutzen wusste. Wenn er für
Clean & Easy
putzen ging, gab er den polnischen Putzmann und führte in seiner Tupperdose polnische Dauerwurstwaren als Pausenimbiss mit sich. In der Autowaschanlage
Wash & Clean,
direkt hinter der Bausparkasse, mimte er den zugezogenen Proleten aus dem Ruhrpott und trug unter der orangefarbenen Autowaschanlagenuniform ausnahmslos Netzhemden. Schauspieler, das war für Rüdiger eben kein Beruf, sondern Berufung.
    Und nun hatte er diesen Job als Christkind in der Weihnachtsmann-Agentur bekommen. Als Krankheitsvertretung. Ein Anruf in letzter Minute. Rüdiger wusste noch nicht genau, wie er die Rolle anlegen sollte.
    Karl-Heinz und Gerd dagegen waren alte Hasen in dem Gewerbe. Dachte Rüdiger. Da irrte er sich. Nur halb, aber immerhin. Also, alte Hasen ja, aber anderes Gewerbe.
    Karl-Heinz und Gerd waren nämlich gar nicht Karl-Heinz und Gerd. Der echte Karl-Heinz und der echte Gerd lagen gefesselt und geknebelt in der Umkleide von
Rent-a-Santa.
    Aber das wurde Rüdiger erst klar, als Karl-Heinz mitten hinein in die Runde der Köhlbrand-Messerschmidts trat, eine Schnellfeuerwaffe aus seinem Weihnachtsmannsack zog und mit seiner donnernden Bassstimme »Hände hoch und keine Bewegung!« brüllte.
    Die Köhlbrand-Messerschmidts gehörten zu der Hautevolee von Schwäbisch Hall. Schon seit Generationen. Uraltes Salzsiedergeschlecht der ersten Stunde.
    »Ogottogottogott«, flüsterte Maximilian Köhlbrand-Messerschmidt III ., das derzeitige Oberhaupt der Familie. Er sackte auf dem Sofa zusammen.
    »Reiß dich zusammen, du Memme!«, bläffte seine Frau. Und an Karl-Heinz gerichtet: »Das wagen Sie nicht!«, der ihr gerade die Diamantuhr vom Handgelenk streifen wollte.
    »Und wie ich das wage.« Karl-Heinz gab, nur mal so zur Warnung, eine Schnellfeuerrunde in die Stuckdecke ab.
    Leise rieselte der Putz.
    Im Salon befanden sich noch die erwachsenen männlichen Zwillinge des Ehepaares mit ihren jeweiligen blondierten Gespielinnen sowie die pausbäckige Haushälterin der Familie. Deren insgesamt zehn Arme waren längst oben. Nun folgten widerwillig auch die Kaschmirarme von Frau Köhlbrand-Messerschmidt, um eine Armbanduhr leichter.
    »Na bitte, geht doch«, sagte Karl-Heinz schmunzelnd.
    Kurz darauf saßen alle verschnürt und mit ihren Socken beziehungsweise Feinstrumpfhosen im Mund auf dem Perserteppich.
    »Und du?«, fragte Karl-Heinz und richtete die Mündung des Schnellfeuergewehrs auf Rüdiger. »Bist du für oder gegen uns?«
    Rüdiger stand wie zur Salzsäule erstarrt vor dem Kamin. Sein Hintern wurde zunehmend heißer, aber jedwede Bewegung war ihm unmöglich. Schockstarre. Wo war er hier hineingeraten?
    Es schien ihm alles so unwirklich.
    Das Ambiente um ihn herum war beschaulich-weihnachtlich: riesige Nordmanntanne, geschmückt in Rot und Gold. Leise Weihnachtsmusik – natürlich nicht
O du fröhliche
wie in Plebejer-Wohnzimmern, vielmehr intonierte ein Knabenchor das
Weihnachtsoratorium
von Bach. Die Duftwolken von Plätzchen, einem Erzgebirgeräuchermännchen und Gans mit Apfelrotkohl waberten in der Luft.
    In krassem Gegensatz dazu stand Karl-Heinz als Weihnachtsmann aus der Hölle mit dem Schnellfeuergewehr im Anschlag.
    Rüdiger schluckte schwer.
    Er war nicht zum Helden geboren.

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