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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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malerische Bauernhaus eines Tages endlich wieder mit dem Leben einer Kinderschar füllen würde. Aber es geschah anders. Der Tod hatte sein Auge auf das Tal geworfen, und Hilla begann erneut, von Familien zu träumen, deren Kinder solch wohlklingende Nachnamen hatten wie Mandelbaum und Rosenzweig. Joe startet Mollys Diesel.
    Namen sind wichtig in den sanften Hügeln des Chiemgaus, die hinter dem Stadlerhof zu mächtigen Bergen ansteigen. Für seinen Großvater war wichtig, dass Joe nicht nur seinen eigenen Namen trug, sondern mit zweitem Namen nach dem Vater von Ernst benannt wurde. Josef Georg Stadler, geboren im Jahr 1959, nach einer Reihe von traurigen Fehlgeburten. Hilla hatte jede ihrer missglückten Hoffnungen benannt und auf dem Friedhof beisetzen lassen. Sie wollte damit ein Zeichen setzen. Das stille, zerstörerische Leid, das nachts über die Ufer des Sees trat und die Dörfler mit bleiernem Schweigen und Einsamkeit durchtränkte, brauchte Namen. Hilla benannte ihre kleinen Engel auf dem Friedhof. Jakob, Esther, Elias und Ruth. In einigen Familien aus der Gegend gab es solche Zeichen. Sie waren ja alle noch Kinder, und kein junger Mensch konnte die Schatten dieses Schicksalspendels tragen. Erbarmungslos legte sich die Schuld auf die innersten Paradiese der Familien. Das innere Wüten zeigte andere Zeichen als Gewehre, Bomben und Massenvergasung. Es waren die Kreuze am Straßenrand, stumme Zeugen der Wünsche der Landessöhne nach dem Jenseits. Das goldene Bier musste in immer größeren Strömen den immerwährenden Schmerz lindern. Im Grunde genommen ist für Joe alles vergiftet, selbst die Johannirituale der verliebten Paare und der Kuss unterm Mistelzweig zu Santa Lucia. Zunächst hat Joe sich gegen die Worte der Mutter gewehrt. Es gibt keine Erbsünde. Joes eigener Verlust ist kein Preis, der gezahlt werden musste für Seelen, die ein halbes Jahrhundert zuvor unbarmherzig in den Vernichtungslagern zu Tode gequält worden waren. Es darf einfach nicht sein, denn was vergangen ist, muss endlich auch verschwunden sein aus dem Bewusstsein. Aber so einfach ist es nicht. Bei der Beerdigung von Joes Frau und Kind hing ER immer noch in der Dorfkirche am Kreuz. Unter IHM hatte auch Esther Rosenzweig im letzten Kriegsjahr in Joes Dorfkirche heimlich geheiratet, um ihr Leben zu retten. Sie teilten einen Gott. Man durfte diese Tatsache nicht offen benennen, denn es wäre Verrat gewesen an denen, die ihr Leben gelassen haben für eine Ideologie, die fein verwoben war mit all dem, was in der Gegend seit vielen Generationen heilig gewesen ist. Die Worte »geliebtes Vaterland« kann Joe bis heute nicht über seine Lippen bringen. Das Wort »Muttersprache« hingegen singt er mit dem weichen Singsang seiner Gegend. Muttersprache und Vaterland. Himmel und Hölle. Miriam und Joe. Was denkt er da? Was ist mit ihm los? Als Joe mit Molly aus der Garage fährt und sich durch die enge Hofeinfahrt des Übungsraums zwängt, steht ihm der Schweiß auf der Stirn. Die Frau macht ihm mehr Angst, als er aushalten kann. Er riecht Miriams Duft noch in seinem Taxi. Es ist nicht der Geruch einer jungen Schönen nach Parfum oder blumigen Cremes, sondern nach Frau und Mutter, die mit ihren Kindern gerne im kommenden Sommer ohne Angst barfuß über eine Wiese gehen würde. So könnte es auch sein, wenn Joe sie in seinen Armen halten und lieben dürfte. Alles wäre echt, der Schmerz, die Freude und das Aufatmen danach, wenn Miriam in seinen Armen liegen würde, ohne ein einziges überflüssiges Wort.
    Joe war der Scholle seiner Vorfahren immer nah. Als Kind hatte er um diese Zeit im Winter die Äste betastet, um zu fühlen, wo das neue Leben sich in den Verzweigungen verdichtet, um im Februar die ersten Eichkätzchen hervorzubringen. Als Kind waren für Joe der Tod und das Leben verwoben wie die geflickte Leinendecke auf dem Küchentisch. Er liebte es, mit seiner Mutter auf den Friedhof zu gehen, wo seine älteren Geschwister lagen, vier an der Zahl. Alle hatten es vorgezogen, mit den Engeln bei Gott zu spielen statt mit Joe. Joe war der fünfte Stadler und spielte mit den Nachbarskindern. Noch einmal in jungen Jahren hat Joe bei seiner Mutter eine Verdichtung in der Leibesmitte beobachtet, die wie bei einem Ast neues Leben versprach. Doch dann gab es ein erneutes Fest auf dem Friedhof. Das war Rebecca, seine jüngere Schwester. Erst in der ersten Klasse hatte Joe begriffen, dass seine Klassenkameraden nie ihre Geschwister auf dem Friedhof

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