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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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Luft hat s’ braucht.«
    Die dicke Frau sieht Joe mit deutlichem Missfallen an.
    »A Luft? Hier? Mitten in da Nacht …?«
    »Wie ma halt so drauf is als Frau, wenn’s jede Minute losgehen kann!«
    Die Schaffnerin lächelt verständnisvoll.
    »Alles klar! Servus! Und alles Gute Ihrer Frau … und ein gesegnetes Weihnachten!«
    Joe lächelt zurück.
    »Ebenfalls! Frohes Fest!
    Während Joe sich neben Miriam setzt, steigt die Schaffnerin schnaufend wieder ein und macht ihre Türen zu. Die Straßenbahn fährt weiter. Joe sieht die Schlafende beunruhigt an, traut sich aber nicht, Miriam zu schütteln. Der Junge tritt neben ihn.
    »Du musst sie noch kurz in Ruhe lassen, wirklich.«
    »Wie lang …?«
    »Hängt davon ab, wie müde sie ist. Komm zurück ins Auto.«
    Zehn Minuten später sitzt Joe immer noch in seinem Taxi und starrt auf die erstarrte Schlafende in den Wartehäuschen. Er kann es einfach nicht fassen.
    »Das ist doch nicht normal!«
    »Ist es doch!«
    Anna-Sophies verwuschelter Kopf legt sich zwischen Joe und dem Jungen auf das Polster und sieht Joe um Verständnis bittend an.
    »Miri geht immer in Shambala tanken, so wie ein Auto Benzin tankt … So tankt Miri frische Energie in Shambala.«
    Joe sieht das Mädchen verständnislos an.
    »Wo soll denn das sein, dieses Shambala?«
    Anna-Sophie sieht Joe mitleidig an.
    »Hast du denn kein Shambala? Jeder hat doch ein Shambala …«
    Miriam ist erleichtert, endlich in ihrem Traumland angekommen zu sein, wo sie weder Kälte noch Anspannung oder Verzweiflung spürt. In ihrem Shambala ist alles wie immer. Zufrieden blickt sie vom obersten Geschoss ihres prachtvollen Turmes auf die sonnige Ebene, die in der Ferne durch eine bläuliche Bergkette begrenzt wird. Miriam liebt diese Berge. Immer wenn sie Rat braucht, pilgert sie allein oder mit kleinem Gefolge zu ihrem Landsitz dort, um sich im Steingarten mit den Mönchen zu beraten. Es wäre gut, dort bald wieder hinzugehen, denn Miriam steht seit einiger Zeit vor einem Rätsel. Ihre Schwester Carola und ihr Mann Wassili, die bereits seit Monaten in Shambala erwartet werden, gelten inzwischen als vermisst. Miriam seufzt, während sie das perlmutterfarbene Fernglas aus der Nische neben der Brüstung holt und Ausschau nach ihrem neuen Kundschafter hält, der sich im Hafen nach den Schiffen erkundigen sollte. Es ist ihr ein Rätsel, warum es Carola und Wassili bis jetzt nicht bis hierher geschafft haben. Schon seit geraumer Zeit beschäftigt sie in diesem Zusammenhang ein Gedanke, der Miriam zutiefst beunruhigt. Es könnte sein, dass Carolas und Wassilis Abwesenheit in Shambala mit ihren beiden Kindern zu tun hat. Aber das würde in der Konsequenz bedeuten, dass der Kampf, den Miriam seit nunmehr fast zehn Monaten um die Kinder führt, in die falsche Richtung geht. In der anderen, unfreundlichen Welt war es ihr noch nicht einmal gelungen, ein Zuhause für sich und die Kinder zu erschaffen. Aber vielleicht gibt ja auch dafür einen logischen Grund. Vielleicht gehören weder die Kinder noch die schwangere Miriam in die scheußliche Winterwelt jenseits der Grenze. Vielleicht kämpft Miriam die ganze Zeit an der falschen Front. Bei nächster Gelegenheit muss Miriam sich mit Trogawa, dem ältesten ihrer Mönche, an das Orakel der kleinen Vögel wenden, doch bis dahin wird sie ihrem Volk gegenüber die offizielle Version aufrechterhalten. Die Schwester der Königin und ihr Mann seien zwar in Shambala überfällig, würden aber bestimmt bald per Schiff im Hafen ankommen. Miriam bemüht sich um ein strahlendes Lächeln und hebt die Hand zum Gruß, wie sie es jedes Mal tut, wenn sie sich auf dem Balkon ihrem wartenden Volk präsentiert. Begeistert jubeln ihr am Fuß des Turmes einige ihrer treuen Untertanen zu. Kinder schwingen Bänder in unterschiedlichen Grüntönen, was Miriam daran erinnert, dass heute Frühlingsanfang in Shambala ist. Acht junge Männer lassen bei Miriams Handzeichen in gekonnter Formation ihre Drachen in Form von Schmetterlingen steigen. Die großen Kunstwerke aus farbenfrohem Papier und Seide umflattern den Königinnenturm von allen Seiten. Das Oktogon ist jetzt seit vier Jahrtausenden die bevorzugte Bauform der Architekten von Shambala, obwohl der Palast aufgrund der vielen Erdbeben in der Region alle paar Jahrzehnte aufs Neue aufgebaut werden muss. Ob in Jute, Lehm oder seit ungefähr zwei Jahrtausenden in zart lachsfarbenem Marmor, immer ist es ein Oktogon, das für die Königin gebaut wird. Aufgrund

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