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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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hatte Joe über den Sinn und Zweck ihres Ritzens erst aufgeklärt, nachdem sie beschlossen hatte, den Rest ihres Lebens mit Joe zusammenzubleiben. Den Ausdruck »Bis dass der Tod euch scheidet« hatte sie geliebt, denn von Anfang an hatte sie gewusst, dass sie die Erste sein wird, die geht. Ihr Ritzen, so hatte sie Joe belehrt, war kein Ausdruck von Selbstzerstörung, sondern von Selbstdisziplin. Viel Disziplin hatte Rosemarie über die Jahre gebraucht, um sich nicht schon als Kind vom höchsten Berg in eine Schlucht zu stürzen. Zu Hause war sie entsetzlich unglücklich. Der Grund war ihr Vater. Er hatte seine ehemaligen Insignien des Tötens sorgfältig auf dem Speicher des Hauses für auserwählte Freunde aufbewahrt, die in Abständen aus Ländern wie Chile und Argentinien für kurze Zeit in ihre alten Heimatdörfer einzufliegen pflegten. Meistens machten die älteren Herren ausgedehnte Wanderausflüge in die Berge, fast immer in Richtung Berchtesgaden. Gerne mochte ihr alter Vater, wenn Rosemarie mit ihrem hübschen Stimmchen die alten Lieder vorsang. Aber sobald das Kind denken konnte, war es leider immer krank, wenn der hohe Besuch kam. Rosemarie hasste die Freunde ihres Vaters und all das, wofür sie standen. Zeitlebens meinte sie von zerstörerischen Geistern umkreist zu sein, die sich rächen wollten an den blutrünstigen Herrenmenschen und vor allem auch an ihren Nachkommen. Im Gegensatz zu Rosemaries älterer Schwester Magdalena, die sich voller Elan in die neue Rebellion der Siebziger- und Achtzigerjahre stürzte, blieb die Jüngere in der Vergangenheit verhaftet. Nur Rosemaries eigene Musik konnte ihr Gefühl von Schuld und Ohnmacht für kurze Zeit vertreiben, bis sie sich Hals über Kopf in die Liebe stürzte. Joe hat Rosemarie mit jeder Faser seines Seins geliebt. Aber er hat erst nach drei Jahren der heftigen Leidenschaft verstanden, dass für seinen Sonnenschein Rosemarie das Leben in Wirklichkeit sehr schwer war. Tief in ihrem Inneren hatte seine Frau nicht das Recht erhalten, zu leben. Weder sie noch ihre zukünftigen Kinder konnten erwarten, von so viel vergossenem Blut reingewaschen zu werden. Im Geheimen hatte Magdalena, Rosemaries ältere Schwester, Joe im Jahr nach ihrem Tod die Aktenordner der Entnazifizierung gezeigt, die über den Vater angelegt worden waren. Durch Beziehungen, die bis in den Vatikan reichten, war er sogar in sein Regierungsamt zurückversetzt worden. Finanzamt klingt harmlos, aber im Dritten Reich wurden dort die Listen erstellt, die so viele Menschen das Leben kosten sollten. Doch das war bei Weitem nicht die einzige Schuld, die der Vater der beiden Mädchen als junger Mann auf sich geladen hatte.
    Vor der Hochzeit hatte Rosemarie ihrem Mann gesagt, wie wenig Glück in ihrem persönlichen Lebenskörbchen liege. Obwohl sie sich im Gegensatz zu Magdalena geweigert hatte, die Vergangenheit des Vaters detailliert aufzuarbeiten, war diese immer präsent. Mit ihrem bezaubernden Lächeln, das immer auch eine Entschuldigung für ihre Existenz zu beinhalten schien, wollte sie Joe warnen. An dem Tag, als er sie bat, von nun an nicht mehr die Pille zu nehmen, lief ihr innerer Countdown. Joe wollte nichts von ihren Ängsten hören. Er hat sie abwechselnd ausgelacht und getröstet, als sie ihn bat, mit ihr und dem Baby in ihrem Bauch aus Europa wegzugehen. In der Erde ihres Dorfes würde zu viel Unheil stecken. Joe hatte Rosemarie gewähren lassen, als sie sich für Auswanderungsmöglichkeiten nach Neuseeland interessiert hatte. Doch als sie schließlich die Papiere beantragt und ihn vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, gab es einen heftigen Streit. Joe war sich sicher, stärker als sämtliche Geister zu sein, die Rosemarie nach dem Tod ihres Vaters nächtliche Albträume verursachten. In der Nacht, als sie ihr Kind zeugten, hatte er sie mehrmals geliebt. Er hatte dafür gesorgt, dass sie in seinen Armen jubelte und juchzte, wie nur Rosemarie es konnte. Ein gemeinsames Kind würde ihre Wunde heilen.
    Ein Lastwagen donnert auf der linken Spur vorbei. Joe erschrickt. Er fährt viel zu langsam. Miriam bemerkt es nicht. Sie summt leise vor sich hin und scheint fast glücklich. Aber Joe hat Angst. Die Narben an ihren Unterarmen machen ihm Angst. Er weiß plötzlich nicht mehr, warum er diese Frau ausgerechnet an den Ort bringen will, der ihm so heilig ist, dass er nach Rosemaries Tod keine seiner Gespielinnen je dorthin mitgenommen hat. Vielleicht bringt er sie dorthin, weil sie auch

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