Mariana: Roman (German Edition)
lagen bloß durch den Schlafmangel. Er wandte seinen Kopf, um mich anzusehen, und hob eine Augenbraue in einem sonst unergründlichen Gesicht.
»Es tut mir leid«, sagte er gelassen. »Möchtest du, daß ich pfeife oder so etwas, damit du weißt, daß ich komme?«
»Das wäre doch eine Idee.« Vivien lachte, ihre blauen Augen funkelten. Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß sie Iain Sumner sehr gern mochte. »Willst du dein übliches Gift?«
»Ja.« Er nickte und sah zu, wie sie ihm ein Glas mit schäumendem, dunklem Bitterbier zapfte. Er zog ein zerdrücktes Päckchen Zigaretten aus der Hemdtasche, klopfte eine heraus und sah mich fragend an. »Stört es dich?«
»Daß du rauchst?« Ich schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht.«
»Danke.« Er zündete sich die Zigarette an, wobei er das aufflammende Streichholz mit seinen erdigen Händen abschirmte und Viviens mißbilligenden Blick ignorierte.
»Ich dachte, du hättest das aufgegeben«, sagte sie.
»Das denkt meine Mutter auch.« Er sah sie mit unschuldigem Blick an. »Ich komme übrigens mit einem Auftrag vom Herrenhaus. Geoff sagt, er habe die Papiere gefunden, nach denen du gefragt hast, diejenigen, die er für die Geschichte des Gutshauses durchgesehen hat, und möchte wissen, ob du ihn heute abend auf einen Kaffee einladen würdest, damit er dir und Julia den Kram zeigen kann.«
»Ob ich ihn einladen würde? Hört euch diese Frechheit an!« Vivien grinste breit. »Was ist los, werden Bauern sonntags nicht empfangen im Herrenhaus?«
Iain hob sein Glas zum Mund und zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlicher ist, daß die Putzhilfe länger nicht da war. Du kennst doch Geoff. Und er hat eine ziemliche Unordnung veranstaltet, als er nach diesen Papieren suchte.«
»Na schön«, kapitulierte Vivien, »sag ihm, er könne sich als eingeladen betrachten. Das heißt, wenn Julia heute abend Zeit hat. Hast du?«
Ich nickte.
»Gut. Sagen wir um sieben Uhr? Iain?«
Seine Augenbrauen hoben sich wieder. »Bin ich etwa auch eingeladen?«
»Du bist immer eingeladen.«
»Dann solltest du besser für etwas zu essen sorgen.«
»Ich werde ein paar Sandwiches machen«, versprach Vivien feierlich. »Übrigens, sagt dir der Name ›Mariana‹ irgend etwas?«
»Shakespeare«, lautete seine spontane und höchst unerwartete Antwort.
»Shakespeare?« echote ich, und er nickte.
»Angelos hinterhältige Verlobte in Maß für Maß .«
»Ach so.«
»Sollte mir der Name noch etwas anderes sagen?«
»Nein, es ist nicht wichtig«, antwortete ich. »Ich bin nur … beim Aussortieren … in einem Brief auf den Namen gestoßen und habe mich gefragt, ob jemand wohl weiß, wer sie war.« Niemand bemerkte mein leichtes Stolpern bei der Lüge.
»Nun, ich bin vermutlich nicht die richtige Person für solche Fragen«, räumte Iain mit einem leichten Lächeln ein. »Deine Tante Freda könnte etwas wissen«, sagte er zu Vivien gewandt. »Oder einer der Jungs.« Er deutete mit dem Kinn auf den leeren Tisch in der Ecke.
»Es ist wirklich nicht wichtig«, wiederholte ich. Es tat mir schon fast leid, daß ich Vivien überhaupt danach gefragt hatte. Schließlich konnte mein seltsames Erlebnis in der Blackfriars Lane vergangene Nacht auch einfach auf zuviel Alkohol zurückzuführen sein oder auf zuviel Streß … oder auf eine latent vorhandene Spur von Wahnsinn, die fest im Geflecht meines Erbgutes verwoben war. In jedem Fall war die Wahrscheinlichkeit gering, daß die junge Frau namens Mariana und ihre besorgte Tante Mary jemals existiert hatten. Zumindest wollte ich das glauben. Denn wenn es wirklich eine Mariana gegeben hatte, würde das bedeuten, daß ich …
»Gut.« Iain setzte sein Glas mit einem zufriedenen Knall auf dem Tresen ab und unterbrach damit meine Gedanken. »Ich muß los.«
»Du vergißt doch nicht, Geoff meine Nachricht auszurichten?« fragte Vivien, und Iain drehte sich an der Tür noch einmal um.
»Nein, ich werde nicht vergessen, Geoff deine Nachricht auszurichten. Aber weißt du«, grinste er, »andererseits könntest du auch lernen, das Telefon zu benutzen, um meine müden Beine zu schonen.«
»Der Spaziergang wird dir guttun«, gab sie prompt zurück.
»Zweifellos. Ich sehe euch also heute abend.«
»Er ist wirklich ein sehr netter Kerl«, sagte Vivien, als die Tür hinter ihm zuschlug.
»Und er liest Shakespeare.«
Sie grinste. »Das hat dich überrascht, stimmt’s? Iain hat Englisch in Cambridge studiert, ob du’s glaubst oder nicht. Dort haben
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