Mariana: Roman (German Edition)
Samstagabend, und wir saßen in dem unverwechselbar schicken Ambiente von Roderick Dentons Haus in London. Die Dinnerparty war ein großer Erfolg gewesen, wie unweigerlich alle von Rods gesellschaftlichen Unternehmungen, und nicht zum ersten Mal mußte ich zugeben, daß der Rat meines Bruders genau richtig gewesen war.
Der Abend hatte mir eine willkommene Pause vom scheinbar endlosen Kreislauf des Auspackens und Einrichtens verschafft, und ich fühlte mich beinahe wieder wie ein Mensch. Außerdem bot sich mir endlich ein Grund, mal ein elegantes Kleid anstelle der Jeans und unförmigen Hemden zu tragen, in denen ich die letzten vierzehn Tage verbracht hatte. Das gab mir ein wunderbar kultiviertes, erwachsenes Gefühl. Wenn ich mich nur nicht so furchtbar gelangweilt hätte …
Zwei Wochen raus aus London, dachte ich, und schon scheinen die im Raum umherschwirrenden Gespräche nichts mehr mit mir zu tun zu haben, kommen mir flach und narzißtisch vor. Tom erwischte mich beim Gähnen und stieß mich spielerisch in die Seite.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich mit dem Wein zurückhalten«, erinnerte er mich.
»Tut mir leid«, gähnte ich wieder. »Ich glaube, ich habe meine Grenze erreicht, Tom. Ich muß gehen.«
»Na gut. Ich bringe dich zur Tür.«
»Julia, meine Liebe.« Roderick Denton kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu und blockierte meinen Fluchtweg. »Ich freue mich so, daß du gekommen bist.«
Ich umarmte ihn. »Danke für die Einladung. Ich hatte einen wunderbaren Abend. Und sag auch Helen meinen Dank.«
»Du willst doch nicht schon gehen?«
»Leider doch. Es wartet jemand auf mich.«
»Ah ja?« Er hob, Klatsch witternd, eine Augenbraue. »Du verbringst die Nacht in der Stadt, nicht wahr?«
»Ja, bei meiner Freundin Cheryl. Du erinnerst dich doch an Cheryl, Rod? Sie arbeitet in Whitehall.«
Er runzelte die Stirn, aber nur einen kurzen Moment. »Rote Haare?« fragte er nach. »Ziemlich intelligent? Wohnt in Camden Town?«
»Jetzt in Islington«, verbesserte ich ihn. »Sie hat eine Gehaltserhöhung bekommen.«
Rod sollte dies zu schätzen wissen, überlegte ich, da er doch selbst ein gesellschaftlicher Aufsteiger war. Es war ziemlich unaufrichtig von mir, Cheryl als Ausrede zu benutzen, um die Party verlassen zu können. Sie wartete nämlich überhaupt nicht auf mich. Sie war noch nicht einmal in London. Ihr Freund hatte sie zu einem Wochenende im Lake District eingeladen, und sie hatte mir gutgelaunt ihre Wohnung für den Abend zur Verfügung gestellt, einschließlich Katze und Parkplatz.
»Wenn du ein paar Minuten wartest, kann ich jemanden finden, der dich mitnimmt«, bot Rod, stets der aufmerksame Gastgeber, an.
»Nein, danke.« Ich schüttelte den Kopf. »Mit der U-Bahn geht es genauso schnell. Und du«, riet ich Tom, »solltest auch gehen. Du wirst morgen bei deiner Predigt einschlafen.«
»Zusammen mit dem Rest der Gemeinde«, warf Rod ein, und ich kicherte.
Tom lächelte mich nachsichtig an. »Lach du nur«, forderte er mich großzügig auf. »Jedenfalls lasse ich dich in diesem Zustand nicht die U-Bahn nehmen. Ich werde dir ein Taxi besorgen.«
»Ich will kein Taxi«, protestierte ich. »Ich will die U-Bahn nehmen. Oder laufen. Ich atme gern ein bißchen frische Luft.«
Aber Tom war unnachgiebig. Er brachte mich hinunter zur Straße, winkte ein Taxi herbei, packte mich hinein und gab dem Fahrer die Adresse von Cheryls Wohnung. Sobald das Taxi um die nächste Ecke war, lehnte ich mich nach vorn und tippte dem Fahrer auf die Schulter. »Ich habe es mir anders überlegt«, sagte ich. »Zur U-Bahn-Station Embankment, bitte.«
Aber vielleicht hätte ich doch im Taxi bleiben sollen. Der Eingang zur U-Bahn war von Ansammlungen junger Leute verstopft, und das Gedränge der Bier und Samstagnachtschweiß ausdünstenden Körper gab mir ein klaustrophobisches Gefühl. Ich hatte eigentlich die Nord-Linie direkt bis hinauf nach Islington nehmen wollen, doch der grell erleuchtete U-Bahn-Schacht erschien mir plötzlich wenig einladend. Schließlich habe ich es ja nicht eilig, sagte ich mir. Ich konnte auch noch ein Stück am Fluß entlangschlendern und dann eine Station weiter in die Circle-Linie einsteigen. Mit einem letzten Blick auf die lärmende Menge lenkte ich meine Schritte auf das weichere Licht der Straßenlampen an der Uferpromenade und die Millionen von glitzernden Lichtspiegelungen auf der schlummernden Themse zu.
Hinter mir, auf der anderen Seite der Westminster-Brücke,
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