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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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Kopf.
    «Es tut mir so leid, Mami», begann sie, aber bevor sie weitere Erklärungen abgeben konnte, unterbrach Mrs. Shannon sie schon wieder: «Was war nun eigentlich los? Hast du dich verlaufen? Wie konnte Geoffrey dich mitnehmen und dann verlieren? Er hätte mir doch wenigstens einen Zettel hinlegen können. Wo bist du denn nun gewesen? Warum hast du nicht angerufen? Das verstehe ich nicht —»
    «Ich war im Kino.» Mary ging in ihr Zimmerchen, ihre Mutter, die sich noch immer nicht beruhigen konnte, folgte ihr. «Onkel Geoffrey wollte nicht mitkommen, und darum bin ich allein gegangen. Es war —» Sie wollte erzählen, wie wunderschön es gewesen war, aber plötzlich merkte sie, daß sie nicht mehr imstande war, es zu schildern. Sie war zu müde, und es war ja auch alles schon so lange her. «Jetzt fällt mir ein», fuhr sie fort, — «daß Onkel Geoffrey mir gesagt hat, ich müßte unbedingt vor dir zu Hause sein, und er hat mir auch Geld gegeben für ein Taxi, aber ich bin mit der Untergrundbahn gefahren, weil ich, weil ich —» Eine salzige Träne rann ihr von der Wange herunter in den Mund.
    «Du hättest natürlich ein Taxi nehmen sollen, aber das Ganze ist nicht deine Schuld. Dieser dumme Geoffrey, das sieht ihm wieder mal ähnlich. Der kann was erleben, wenn er kommt, bei Gott, der kann was erleben.» Mrs. Shannon machte ihrem Ärger weiter Luft, während sie Mary ins Bett brachte. Mary versuchte kleinlaut zu erklären, daß es wirklich nicht Onkel Geoffreys Schuld sei, aber es war alles viel zu mühsam, und sie schlief schon halb. Morgen früh würde sie alles richtigstellen, denn sonst würde sie sich Onkel Geoffreys Verachtung zuziehen, und er würde nie wieder mit ihr ausgehen.
    Am nächsten Tag jedoch lag Onkel Geoffrey, der erst um halb sechs Uhr früh nach Hause gekommen war, wie ein Klotz in seinem Bett und schlief bis in den Nachmittag hinein. Als er endlich erwachte, stöhnte er und verlangte mit schwacher Stimme nach einer Tasse Tee. Mary brachte sie ihm, fragte ganz harmlos, ob er krank sei, und überbrachte ihm die freudige Botschaft, daß Wanda, während er schlief, zweimal telefoniert und beim zweiten Mal bestellt habe, daß sie um vier Uhr vorbeikommen würde, um ihn zu besuchen. Onkel Geoffrey versuchte, sich aufzusetzen, die Haare hingen ihm bis über die Augen ins Gesicht, und am Hinterkopf standen sie pomadeverklebt zu Berge. Sein Gesicht war gelb wie Wachs, und ums Kinn herum zeigten sich dunkle Schatten von Bartstoppeln.
    «Um mich zu besuchen?» fragte er töricht, und die Augen quollen ihm aus dem Kopf. «Heute?»
    «Ja», bestätigte Mary, «und Mami läßt dir sagen, falls du sie zum Tee bitten willst, müßte sie sich mit Brot, Butter und Honig begnügen, weil es Mami nicht im Traum einfällt, wegzugehen und Kuchen zu kaufen.»
    «Grundgütiger Himmel.» Onkel Geoffrey war plötzlich hellwach. «Sie kann unmöglich hierherkommen. O — jetzt fällt mir langsam alles wieder ein — o lieber Gott», ächzte er, ließ sich hintenüberfallen und schloß die Augen. «Jetzt dämmert’s mir — warum hast du sie nicht abgewimmelt?»
    «Aber, Onkel Geoffrey, ich dachte, du hast sie gern. Gestern abend —»
    «Bitte, Mary», er zuckte zusammen, «gestern abend war ich ein Jüngling, heute bin ich ein uralter Mann. Laß mich allein, damit ich meinen Tränen freien Lauf lassen kann.»
    Mary zog verwirrt ab, stellte aber erleichtert fest, daß ihre Mutter ihr spätes Nachhausekommen gestern abend vergessen zu haben schien. Mrs. Shannon ging in das Zimmer ihres Bruders, und als sie herauskam, schmunzelte sie und hob die Augen gen Himmel. Onkel Geoffrey folgte ihr und schlang den Gürtel um seinen Morgenrock.
    «Wenn du sie reinläßt, Lily, bringe ich dich um — und dich auch, du Balg», setzte er hinzu, als er Mary neugierig im Korridor herumlungern sah. «Hat einer von euch eine Kopfschmerztablette?» fragte er und schlurfte ins Badezimmer.
    Dort war er noch, als es klingelte. Da ihre Mutter in der Küche beschäftigt war, öffnete Mary die Tür. Vor ihr stand Wanda in einem sehr kurzen, schwarzen Kostüm, auf dem Kopf einen breitrandigen Hut und eine neue dicke Puderschicht über der von gestern abend.
    «Guten Tag, mein Liebling», und damit war sie schon in der Wohnung, ehe Mary sie aufhalten konnte. Sie konnte sich nur gerade noch unter ihrem lavendelduftenden Kuß wegducken. «Wenn es dieses Weibsbild ist», ließ sich Onkel Geoffreys Stimme klar und deutlich vom Badezimmer her

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