Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
werden, dass Emma maßlos übertrieb. Es waren nicht mehr als zwei oder drei Weingläser, die winzige Wasserspuren aufwiesen. Was aber sollte ich ihr entgegnen?
Um Streit zu vermeiden, ging also die ganze Putzerei noch einmal von vorne los. Die Frauen warfen sich hinter Emmas Rücken bedeutsame Blicke zu. Alle achtundachtzig Gläser und sämtliches Silberbesteck wurden ein weiteres Mal poliert, bis die Dame es zufrieden war und sich im Überschwang ihrer Gefühle an Bérengers Arm hängte, um einen „kleinen Spaziergang ins Grüne“ mit ihm zu unternehmen. Die anderen Gäste standen derweilen in Gruppen beisammen, um zu diskutieren, oder saßen bereits oben auf der Terrasse, die zum abendlichen Tanzvergnügen festlich mit Girlanden und Lampions geschmückt war.
„Marie“, hatte Bérenger zwei Wochen zuvor gesagt - und er hatte wahrhaft „Kreide gefressen“ an jenem Tag -, „hol dir Henriette und so viele Frauen aus dem Dorf, wie du für deine Vorbereitungen brauchst. Ich möchte nicht, dass du alles allein machst. Das Schlimmste wird allerdings nicht die Arbeit für dich sein, sondern, dass du beim Dîner nicht neben mir sitzen kannst, wo du eigentlich hingehörst. In meinen Gedanken aber wirst du dort sitzen, nur du und niemand anders, Marinette, und immer, wenn ich dir in die Augen schaue an diesem Tag, wirst du wissen, dass ich dich gerade in diesem Moment in meine Arme nehmen möchte.“
Allerdings schaute er mir an diesem Tag kein einziges Mal in die Augen.
Vor allem sein roter seidener „Kummerbund“, den er – verbotenerweise - unter seinem neuen Priesterrock trug, gab Anlass zu manch spöttischer Bemerkung. Ich habe es selbst gehört, als ich im Garten die Servietten faltete und arrangierte.
„Seht nur, unser Abbé ist heute alles andere als ein Ritter von der traurigen Gestalt!“ kicherte ein Gast. „O ja! Diese wenig demütige Farbe erinnert höchst trefflich an die roten Hosen unserer Soldaten bei der Schlacht von Reichshoffen“, stimmte ihm einer der älteren Herren prustend zu, als Bérenger mit Emma an seiner Seite vorbeigeschlendert war.
Der Comte de Larzac, mit seinen kleinen spitzen Teufelsöhrchen, grinste. „Aber ja, Sie haben völlig recht, Monsieur. Und wenn man weiß, dass dieses Rot aus den armen Soldaten eine Zielscheibe gemacht hat, wie man sie besser auf keinem Jahrmarkt finden kann – so kann man Bérenger heute nur alles Gute wünschen!“
„Das auf jeden Fall“, meinte ersterer schmunzelnd. „Aber unser Bérenger ist ja ein standhafter Mann! Nicht wahr? Ein äußerst standhafter Mann.“
Nun lachte die ganze Truppe schallend. Am Ende meinte Gélis hüstelnd: „ Hütet euch vor den Schriftgelehrten, welche in langen Gewändern einhergehen , sagt Lukas.“
Diese Warnung nahm ein anderer Priester zum Anlass, um sie zu vervollständigen: „ Euer Reichtum ist verfault, und eure Gewänder sind von den Motten zernagt. “
Ich kann nicht sagen, ob die Männer mit voller Absicht so laut redeten, dass ich sie verstehen musste. Jedenfalls benahm ich mich, als hätte ich sie nicht gehört, was allemal das beste ist in so einer Situation. Die Lästermäuler ahnten ja nichts von meinem Gemütszustand, sie spürten nicht, wie weh sie mir mit ihrem abfälligen Gerede über Bérenger taten.
35
„Wie lachte da der Narr, der Nacht für Nacht die
ausgestorbene Stadt durchstreift,
ein Auge zum Mond gerichtet,
das andere hohl ...“
Aloysius Berrand , Le fou
Doch es sollte noch schlimmer kommen an diesem Abend.
Den ganzen Nachmittag über war es ziemlich schwül gewesen, so dass sich am frühen Abend niemand wunderte, als ein Gewitter aufzog. Ängstlich beäugten vor allem die Damen das drohende Unheil, das sich über dem Bugarach zusammenbraute. Doch Petrus war uns gut gesinnt. Nur einige wenige hellgleißende, fast lautlose Flammenzungen rissen die dunkel-violetten Wolkenungetüme auseinander, die sich dort aufgetürmt hatten, und nur von weitem hörte man es ab und zu ein bisschen grummeln. Das Gewitter zog offenbar rasch und etliche Kilometer von uns entfernt vorüber, aber es hatte ein wenig Abkühlung mit sich gebracht.
Die Stimmung bei Tisch war daher ausgelassen.
Der Comte de Larzac hielt eine enthusiastische Festrede auf „das größte, das schönste, das herrlichste aller Feste im Midi“ - was in Anbetracht des wirklich gelungenen Champagner-Sorbets, das mir seit Tagen beträchtliches Kopfzerbrechen bereitet hatte, wahrlich nicht übertrieben war. Ohne
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