Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
bekommen in Biarritz!“
Boudet lachte und legte den Deckel wieder auf den Topf. An der Küchentür drehte er sich noch einmal um. „Übrigens, hast du schon gehört, Marie, dass man Johanna von Orleans selig zu sprechen gedenkt?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Hochwürden! Niemand erzählt mir was hier heroben. Ich sterbe vor Langeweile!“
„Sie ist voll und ganz rehabilitiert“, sagte er mit zufriedenem Gesicht. „Voll und ganz.“
Ich begleitete ihn zum Hinterausgang, wo Bérenger bereits ungeduldig wartete, und sah den beiden nach, wie sie durch den Schnee in Richtung Turm stapften. Erneut hatte es zu schneien angefangen. Tief atmete ich die kalte Winterluft ein. Noch ein wenig unentschlossen tänzelten die Flocken vom bleifarbenen Himmel zu Boden. Die Äste der Bäume in unserem Garten sahen aber bereits aus wie lange überzuckerte Finger. Mela schrie dumpf. Ob ihm kalt war? Nun, Antoine und Félix polsterten jedes Mal bei Einbruch des Winters die Käfige mit dicken Strohmatten aus, also konnten die Tiere nicht zu sehr frieren.
Ich aber fröstelte und zog mich rasch wieder in mein Reich zurück, in die warme Küche. Erneut war ich ausgeschlossen worden. Die beiden sahen in mir nichts als einen tüchtigen Dienstboten. Boudet vor allem! Johanna von Orleans verehren und die Marie behandeln wie ein dummes Schaf. Aber was hatte ich anderes erwartet? Ich schluckte meinen Ärger hinunter, beherrschte, so gut es ging, meine Neugierde, und begann lieber, den Knoblauch zu schälen, um die Schweinefüße damit zu spicken. Bald schon brutzelten sie in der Röhre.
40
„Sieh ohne Schrecken auf das Ende aller Dinge,
befrage mit zufriedenen Augen deinen Spiegel ...“
François Maynard , La belle vieille
Es gingen einige Jahre ins Land, die ich geradezu genoss, weil sich nichts wirklich Dramatisches ereignete. Dennoch war mir die plötzliche Ruhe irgendwie unheimlich. Der Mord an Gélis war noch immer nicht aufgeklärt. Doch Bérenger schien sich wieder sicher zu fühlen, denn er begann erneut zu reisen.
Bereits im Dezember 1908 hatten ihn seine Pläne nach Italien geführt. Er war schon eine Woche unterwegs, als Henriette mir von einem schweren Erdbeben in Messina erzählte. Ich erschrak. Der Weltuntergang? Bérenger? Als die ersten Gazetten eintrafen und obendrein der Ramoneur - ganz aufgeregt - vorbeischaute und von 84 000 Toten sprach, die das Unglück gefordert hätte, stand ich tausend Ängste aus um meinen Geliebten.
Kein Brief, keine Nachricht!
Anfang Januar kam er frohgemut nach Hause. Da stellte es sich heraus, dass er die ganze Zeit mit Hoffet in Rom gewesen war. Aus lauter Dankbarkeit, ihn wohlbehalten in die Arme schließen zu können, versagte ich es mir, ihn zu fragen, ob auch Emma die Weihnachtstage in Rom verbracht hatte. Bérenger stürzte sich sofort auf den Berg Briefe, die in der Zwischenzeit für ihn eingetroffen waren. Ein Damenbrief war nicht darunter, das wenigstens hatte ich überprüft.
Dann - im Januar 1911 - war die beschauliche Zeit zu Ende.
Bérenger hatte einen dieser wichtigen Brief erhalten, die ich so fürchtete; er durfte nur noch in Notfällen gestört werden, und irgendwann wurde Boudet heraufgebeten. Die beiden wollten eine kleine Winterwanderung unternehmen, die Sonne schien so schön.
Als sie bei Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen waren, diskutierten sie beim Schachspiel über „einen brisanten Brief aus Rom“. Offenbar hatten sie auf ihrer Wanderung über anderes geredet. Mir wurde schwer ums Herz. Hatten die Priester erneut einen „mystischen Nebel“ heraufbeschworen, der uns daran hinderte, ein Leben zu führen wie andere Leute? Doch war Bérenger wohl nicht der Mann, der sich so ein Leben wünschte.
Angestrengt spitzte ich die Ohren. Die Tür war nicht ganz geschlossen, so dass ich in der Küche einiges von dem verstehen konnte, was sie redeten. Als aber die Stimmen nach und nach leiser wurden, musste ich einfach handeln. Mit mit einer Karaffe Pastis als Vorwand, wagte ich es, mich direkt neben die Tür zu stellen und dem Gespräch ein wenig zuzuhören.
„Hattest du Kenntnis davon, dass Rom Billard abziehen würde?“ hörte ich Bérenger Boudet fragen. Seine Stimme klang gereizt.
„Nein, mein Lieber, ich schwöre dir, ich wusste nichts davon! Ist der Neue wirklich durch nichts zu bestechen? Hast du es versucht?“
„Natürlich habe ich es versucht. Ich sage dir, wir haben keine Chance, nicht eine einzige! Monseigneur Paul-Félix Beauvain
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