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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Dr. Abdullah im gleichen munteren Ton fort, indem er Brue zu einem üppig gepolsterten Besuchersessel führte, aber sein Handgelenk gab er immer noch nicht frei. »Ihre Entschuldigung ist ihre Ignoranz. Sie wissen nicht, was sie falsch machen. Ihr Engländer dagegen wißt es ganz genau. Ihr wißt es schon lange. Und ihr macht trotzdem weiter wie gehabt. Sie nehmen mir meinen kleinen Scherz nicht übel, hoffe ich doch? Mein Humor wird mich noch den Kopf kosten, sagt man mir immer. Aber halten Sie mich deshalb bitte nicht für einen Philosophen. Die Philosophie ist für Ihresgleichen, nicht für mich. Ich bin eine religiöse Autorität, das ja. Aber die Philosophie ist Sache der Abendländer und der Gottlosen. In unserem Teil der Welt liegt so manches im argen, gar keine Frage. Wessen Schuld ist das, wüßte ich gern? Vor tausend Jahren hatten wir in Cordoba mehr Krankenhäuser pro Kopf als im gesamten heutigen Spanien. Unsere Ärzte haben Operationen durchgeführt, da können sich Ihre modernen Doktoren verstecken. Was hat uns von unserem Weg abgebracht? fragen wir uns. Fremdeinmischung? Der russische Imperialismus? Die Verwestlichung? Aber wir Muslime haben auch unseren Teil dazu beigetragen. Manche von uns hatten den Glauben an ihren Glauben verloren. Wir waren keine echten Muslime mehr. Wir waren in eine Sackgasse geraten. Fatima, wir brauchen Tee, bitte. Ich war ein Jahr in Cambridge. Caius College. Ich nehme an, darüber wissen Sie Bescheid. In den Zeiten von Internet und Fernsehen gibt es keine Geheimnisse mehr. Wobei Information nicht gleich Wissen ist. Information ist eine leere Hülle. Nur Gott kann Information in Wissen verwandeln. Und Kuchen, Fatima, Mr. Brue ist den ganzen Weg von Hamburg durch den Regen gefahren. Ist Ihnen zu heiß, zu kalt, Sir? Sagen Sie es ganz offen. Wir sind gastliche Menschen, die ihr Bestes tun, um Gottes Gebote zu erfüllen. Sie sollen es behaglich haben bei uns. Wenn Sie uns Geld bringen, sollen Sie es sogar sehr behaglich haben! Je behaglicher, desto besser, sagen wir uns! Hier entlang bitte, Sir. Gestatten Sie, daß wir Sie in unser Besprechungszimmer führen! Sie sind ein aufrechter Mann. Aus Ihrem Antlitz spricht Güte, wie wir sagen.«
    Zu fünf Prozent schlecht inwiefern? dachte Brue in seiner Nervosität zornig. Lantern hatte es vermieden, sich näher dazu zu äußern: Nehmen Sie einfach mein Wort dafür, Tommy. Fünf Prozent, mehr brauchen Sie nicht zu wissen. Aber wer ist nicht zu fünf Prozent schlecht? fragte sich Brue, während sie mit Abdullahs ganzer Sippschaft im Gefolge einen engen Flur entlangmarschierten. Unsere Bank mit ihren zwielichtigen Anlagen, zwielichtigen Kunden und Lipizzanern? Plus dem einen oder anderen Insidergeschäft, wenn uns keiner draufkommt? Ich sehe uns eher bei fünfzehn als bei fünf. Und unser wackerer Präsident und Geschäftsführer, welche Bilanz hat der vorzuweisen? Eine gescheiterte Ehe mit einer wunderbaren Frau, ein Scheidungskind, das er zu spät lieben gelernt hat, wahlloses Herumgevögel, Hochzeit mit einem Flittchen, das ihm jetzt den Laufpaß gibt: ich würde mir fünfzig Prozent geben, nicht fünf.
    Und was macht er mit seinen restlichen fünfundneunzig Prozent? hatte er von Lantern wissen wollen.
    Gutes tun, lautete die ausweichende Antwort.
    Und was mache ich mit meinen? Einen Scheißdreck mache ich. Unterm Strich drängt sich einem die Frage auf, wessen fünf Prozent wirklich die schlechteren sind.
    * * *
    »Wenn wir uns also ans Werk machen wollen, Sir? Ganz nach Ihrem Belieben, aber bitte auf englisch. Die Kinder müssen jede Gelegenheit nutzen, um ihr Englisch zu üben. Hier hinein bitte, Sir. Danke sehr.«
    Sie traten in eine bescheidene Studierstube mit Blick in den Garten. Wo keine Bücher standen, hingen arabische Kalligraphien. Dr. Abdullah nahm an einem schlichten hölzernen Schreibtisch Platz und beugte sich über die gefalteten Hände nach vorn. Fatima mußte den Tee schon vorher bereitet haben, denn sie brachte ihn unverzüglich, und dazu einen Teller mit Zuckerplätzchen. Ihr dicht auf den Fersen witschte der kleine Junge ins Zimmer, der Brue die Haustür geöffnet hatte, zusammen mit der mutigsten seiner drei Schwestern. Als er hinter Ismail die Treppe erklommen hatte, war Brue ein einzelner Schweißtropfen die rechte Seite hinabgekrochen wie ein sehr kaltes Insekt. Aber nun da sie saßen, kam die Ruhe des Profis über ihn. Er war in seinem Element. Er hatte sämtliche von Lanterns Anweisungen im Kopf und

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