Marionetten
ein Kind beim Kindergeburtstag.
»Ich denke, das gehört sich so – Sie nicht, Frau Richter?«
»Issa, tun Sie bitte, was Mr. Brue sagt. Stecken Sie Ihren Schlüssel ins Schloß und drehen Sie ihn um.«
Issa trat einen Schritt nach vorn und rammte seinen Schlüssel ins linke Schlüsselloch. Er drehte. Nichts geschah. Unwillig zog er ihn wieder heraus und probierte es rechts. Das Schloß öffnete sich. Er trat zurück. Brue trat vor und sperrte mit dem Schlüssel der Bank das linke Schloß auf. Dann trat auch er zurück.
Seite an Seite sahen Brue und Annabel zu, wie der Sohn des verblichenen Obersts Grigorij Borisowitsch Karpow voll Abscheu die ergaunerten Millionen in Besitz nahm, die der verblichene Edward Amadeus, O. B. E., auf Geheiß des britischen Geheimdiensts für ihn vermehrt hatte. Auf den ersten Blick machte der Inhalt des Fachs nicht viel her: ein einzelner großer, speckiger Umschlag, unversiegelt, unadressiert.
Issas ausgemergelte Hände zitterten. Sein Gesicht in dem Neonlicht war plötzlich wieder ein Sträflingsgesicht, voll Krater und Schatten und erfüllt von einem Ausdruck tiefsten Ekels. Mit spitzen Fingern zog er ein mit Wellen- und Schleifenmustern bedrucktes Stück Papier hervor; wie ein überdimensionaler Geldschein sah es aus. Den Umschlag griffbereit unterm Arm, faltete er das Dokument auseinander und stellte sich mit dem Rücken zu Brue und Annabel, um es zu studieren – wenn auch eher um seines kalligraphischen Werts als um des Inhalts willen, da der Text deutsch war, nicht russisch.
»Vielleicht sollten wir hochgehen, und Frau Richter übersetzt Ihnen alles?« schlug Brue gedämpft vor, nachdem eine Minute oder mehr verstrichen war, ohne daß Issa sich gerührt hätte.
»Richter?« wiederholte Issa, als hörte er den Namen zum erstenmal.
»Annabel. Frau Richter. Ihre Anwältin. Die Dame, der Sie es verdanken, daß Sie heute abend hier sind – und auch sonst so einiges, wenn ich das so sagen darf.«
Solcherart in die Gegenwart zurückgeholt, reichte Issa Annabel erst das Dokument selbst und dann den Umschlag.
»Ist das Geld, Annabel?«
»Wir machen es dazu«, sagte sie.
* * *
Wieder in seinem Büro, hütete sich Brue, länger als unbedingt nötig bei irgendeinem Punkt zu verweilen; zu groß war seine Angst, die plötzliche physische Realität von Karpows Sündenlohn könnte Issa zu einem Rückzieher in letzter Minute veranlassen. Annabel schien seine Sorge zu teilen, denn sie schwenkte flink auf seinen Kurs ein. Zügig ging sie mit ihrem Mandanten die allgemeinen und besonderen Konditionen seiner Inhaberschuldverschreibung durch. Ob er irgendwelche Fragen habe? Issa zuckte in vager Willfährigkeit die Achseln. Er hatte keine Fragen. Eine Empfangsbestätigung gab es noch zu unterschreiben, und Brue reichte sie Annabel und bat sie, ihrem Mandanten zu erklären, was es damit auf sich hatte. Ruhig und geduldig setzte sie Issa auseinander, was seine Unterschrift unter diesem Stück Papier bedeutete. Sie bedeutete, daß das Geld, solange er es nicht weggab, ihm gehörte. Sollte er nach Unterzeichnung der Empfangsbestätigung beschließen, es doch zu behalten oder es anderweitig zu verwenden, dann stehe ihm das frei. Und Brue dachte bei sich, daß Annabel mit diesem Hinweis die Loyalität zu ihrem Mandanten über die Loyalität zu ihren Bewachern und Manipulatoren stellte und daß das nicht nur eine Frage des Prinzips für sie war, sondern auch ein Beweis außerordentlichen Muts, denn sie setzte damit das Gelingen des ganzen Planes aufs Spiel.
Aber Issa ließ sich nicht beirren. Den Stift fahrig in der Rechten, die zusammengepreßten Finger der Linken an die Stirn gedrückt, unterschrieb er die Empfangsbestätigung mit einer Reihe stürmischer Aufwärtsstriche. Annabel vergaß einen Moment ihre muslimische Zurückhaltung und streifte, als sie nach dem Stift griff, seine Hand. Er zuckte zusammen, aber sie nahm den Stift trotzdem.
Von dem liechtensteinischen Fondsmanager war eine Bestandsübersicht vorbereitet worden. Kraft der Inhaberschuldverschreibung und der unterzeichneten Empfangsbestätigung war Issa alleiniger Erbe des Stiftungsvermögens. Die Gesamtsumme der Vermögenswerte, die von Brue an Dr. Abdullah überwiesen werden sollten, betrug zwölfeinhalb Millionen amerikanische Dollar oder, wie Dr. Abdullah es gegenüber seinem Freund in Weybridge, Surrey, auszudrücken beliebt hatte: zwölfeinhalb Tonnen amerikanischen Reis.
»Issa«, sagte Annabel in einem Versuch,
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