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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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rechte Hand so aus, daß er sie sehen mußte, legte den Schlüssel hinein und hielt ihn ihm hin, wie sie als Kind ihrem Pferd seine Mohren hingehalten hatte.
    »Hier. Schließen Sie selber auf. Ich bin nicht Ihre Gefängniswärterin. Nehmen Sie den Schlüssel und sperren Sie die Tür für uns auf. Bitte.«
    Eine nicht enden wollende Weile starrte er auf ihre offene Hand und auf den rostigen Schlüssel darin. Aber entweder war der Gedanke, ihn ihr abzunehmen, zuviel für ihn, oder er hatte Angst, ihre nackte Haut zu berühren, denn mit einer jähen Bewegung drehte er erst den Kopf und dann den ganzen Oberkörper von ihr weg. Doch so leicht ließ Annabel sich nicht zurückweisen.
    »Soll ich aufschließen?« fragte sie. »Ich muß das wissen. Bitte, Issa. Wollen Sie, daß ich diese Tür aufsperre? Habe ich Ihre Erlaubnis? Antworten Sie mir. Bitte, Issa. Sie sind mein Mandant. Sie müssen mir Anweisungen geben. Issa, solange Sie mich nicht anweisen, diese Tür aufzuschließen, werden wir hier stehen, bis wir durchgefroren und todmüde sind. Haben Sie verstanden, Issa? Wo ist Ihr Armband?«
    Er hatte es in der Hand.
    »Ziehen Sie es wieder an. Sie sind hier nicht in Gefahr.«
    Er legte das Kettchen wieder an.
    »Und jetzt sagen Sie mir, daß ich aufsperren soll.«
    »Aufsperren.«
    »Sagen Sie es lauter. Sperren Sie bitte die Tür auf, Annabel.«
    »Sperren Sie bitte die Tür auf.«
    »Annabel.«
    »Annabel.«
    »Dann sehen Sie mir jetzt bitte dabei zu, wie ich auf Ihren Wunsch die Tür aufschließe. So. Fertig. Ich gehe zuerst hinein, Sie folgen mir. Kein bißchen wie im Gefängnis. Nein, die Tür lassen Sie bitte auf. Wir machen sie erst zu, wenn es nötig ist.«
    * * *
    Sie war seit drei Tagen nicht mehr hier gewesen. Ein rascher Blick in die Runde verriet ihr, daß die Handwerker weiter vorangekommen waren, als sie befürchtet hatte. Die Maurerarbeiten waren fast abgeschlossen, die Fliesen, die sie bestellt hatte, standen ordentlich aufgestapelt, die alte Badewanne, die ihre Mutter in Stuttgart aufgestöbert hatte, war eingebaut, die Messingarmatur, die Annabel auf dem Flohmarkt gekauft hatte, installiert. Sogar die Wasseranschlüsse funktionierten anscheinend wieder, sonst hätten die Handwerker wohl kaum ihre Kaffeetassen in der Spüle stehenlassen. Das neue Telefon mitsamt Verpackung stand mitten auf dem Fußboden und wartete nur darauf, angeschlossen zu werden.
    Issa hatte das Bogenfenster entdeckt. Mit dem Rücken zu ihr sah er reglos ins Morgengrau hinaus. Er schien um einen halben Meter gewachsen zu sein.
    »Es ist nur für ein, zwei Tage, bis ich etwas anderes organisiert habe«, rief sie ihm leichthin quer durch den Raum zu. »Hier sind Sie sicher. Ich bringe Ihnen Bücher und etwas zu essen, und ich komme Sie jeden Tag besuchen.«
    »Ich darf nicht wegfliegen?« fragte er, ohne den Blick vom Himmel zu wenden.
    »Leider nicht. Und rausgehen dürfen Sie auch nicht. Erst, wenn wir Sie wieder umquartieren.«
    »Sie und Mr. Tommy?«
    »Ich und Mr. Tommy.«
    »Kommt er mich auch besuchen?«
    »Er studiert seine Akten. Das ist seine Aufgabe. Ich bin kein Bankier, und Sie auch nicht. Man kann nicht alle Probleme auf einmal lösen. Wir müssen schrittweise vorgehen.«
    »Mr. Tommy ist ein wichtiger Herr. Wenn ich meine Approbation habe, lade ich ihn zur Verleihung der Urkunde ein. Er hat ein gutes Herz und spricht Russisch wie ein Romanow. Wo hat er so zu sprechen gelernt?«
    »Soviel ich weiß, in Paris.«
    »Haben Sie Ihr Russisch auch von dort, Annabel?«
    Wenigstens ging es diesmal nicht um Karsten.
    »Ich habe mein Russisch aus Moskau«, sagte sie. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen. Er schwitzte nicht mehr. Seine Stimme war wieder ruhig.
    »Sie sind in Moskau zur Schule gegangen, Annabel? Wie außerordentlich interessant! Ich bin auch in Moskau zur Schule gegangen. Wenn auch natürlich nicht lange. Welche Schule, bitte? Welche Nummer? Vielleicht kenne ich die Schule. Gab es dort auch tschetschenische Schüler?« – sichtlich beglückt, eine Verbindung zwischen seiner Welt und ihrer herstellen zu können. Vielleicht waren sie in seiner Phantasie ja schon alte Schulkameraden.
    »Sie hatte keine Nummer.«
    »Warum nicht, Annabel?«
    »Es war nicht diese Art Schule.«
    »Was für eine Art von Schule hat keine Nummer? War es eine KGB-Schule?«
    »Nein, ganz bestimmt nicht! Es war eine Privatschule.« Und groggy, wie sie plötzlich war, erzählte sie ihm den Rest auch noch. »Es war eine

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