Marissa Blumenthal 02 - Trauma
Rinderstation mit aller erdenklichen Gastfreundlichkeit empfangen. Die Cowboys, die sich hier Stockmen nannten, brachen sich förmlich einen ab, um sie zu bedienen, ihr ein Bier zu holen oder sie zu dem provisorischen Landeplatz zu der für 12 Uhr mittags vorgesehenen Ankunft des fliegenden Arztes zu fahren. Einer der Stockmen erklärte ihr das Verhalten der Männer, indem er ihr sagte, daß eine attraktive Frau ohne Begleitung ungefähr alle hundert Jahre einmal in der Rinderstation aufzutauchen pflegte.
Um 11.30 Uhr war Marissa draußen auf dem Landeplatz. Unter einem einsamen Gummibaum saß sie in ihrem Ford Falcon. Näher am Platz stand der Landrover der Wilmington-Station in der prallen Sonne. Kurz vor zwölf stieg sie aus und wagte sich aus dem Schatten des Baums. Mit der Hand die Augen abschirmend, suchte sie den blaßblauen Himmel nach einem Flugzeug ab. Der Tag war genauso heiß und wolkenlos wie der gestrige. Sie lauschte angespannt, aber das einzige, was sie hörte, war die Brise, die durch die Akazien rauschte.
Nach zehn Minuten wollte Marissa wieder in ihren Wagen steigen, als sie das schwache Motorengeräusch eines Flugzeugs hörte. Wieder schaute sie zum Himmel auf, um den Verursacher des Geräuschs zu erspähen. Aber sie sah die Maschine erst, als sie beinahe über ihr war.
Das Flugzeug kurvte über dem Landeplatz. Der Pilot schien sich nicht ganz schlüssig zu sein, ob er landen sollte oder nicht. Doch beim zweiten Vorbeiflug landete er schließlich.
Die Beechcraft KingAir fuhr auf den Landrover zu und stellte sich dann in den Wind. Der Pilot brachte die Propeller in Segelstellung und machte sich zum Aussteigen bereit.
Als er die Kabinentür öffnete, ging Marissa rasch auf die Maschine zu. Der Mann, der im Landrover gesessen hatte, stieg aus, schnippte eine Zigarettenkippe auf den staubigen Boden und trat in den Sonnenschein.
»Dr. Williams!« rief Marissa.
Der Pilot blieb neben der Maschine stehen und blickte in Marissas Richtung. In der Hand hielt er eine altmodische Arzttasche mit Metallbeschlägen.
»Dr. Williams!« rief Marissa noch einmal.
»Ja?« sagte Tristan vorsichtig und betrachtete Marissa vom Scheitel bis zur Sohle.
»Ich bin Dr. Marissa Blumenthal«, sagte sie und reichte ihm die Hand, die Tristan zögernd ergriff.
»Erfreut, Sie kennenzulernen«, sagte er. Es hörte sich aber nicht sehr überzeugt an.
Das äußere Erscheinungsbild des Mannes überraschte Marissa ein wenig. Nach einem Pathologen sah er nicht aus. Jedenfalls ähnelte er keinem, den Marissa kannte. Sein Gesicht war tief sonnengebräunt, und er trug einen Dreitagebart. Auf dem Kopf hatte er den klassischen, wettergegerbten, weitkrempigen australischen Outback-Hut, dessen Krempe an einer Seite hochgeklappt war.
Statt wie ein Arzt sah Tristan Williams eher wie ein Mann aus, der sich viel im Freien aufhält, vielleicht wie ein Stockman. In seiner rauhen Art sah er sogar gut aus. Sein rotblondes Haar war um eine Nuance heller als das Roberts. Auch sein kantiges Kinn erinnerte sie an Robert. Doch damit waren die Ähnlichkeiten auch erschöpft. Tristan hatte tiefer liegende Augen. Die Farbe konnte Marissa nicht erkennen, da sie in die Sonne blinzeln mußte. Und seine Lippen waren nicht so schmal wie Roberts, sondern voll und ausdrucksstark.
»Wäre es möglich, sich einen Augenblick mit Ihnen zu unterhalten?« fragte Marissa. »Ich habe hier auf Sie gewartet. Ich bin extra den ganzen Weg von Charleville hergefahren.«
»Meine Güte«, sagte Tristan. »Passiert nicht eben häufig, daß ich hier einer gutaussehenden jungen Dame begegne. Die Leute in der Wilmington-Station können bestimmt noch ein paar Minuten warten. Ich will nur noch dem Fahrer Bescheid sagen.«
Tristan ging zum Landrover und verstaute die Arzttasche auf dem Rücksitz des Fahrzeugs. Marissa stellte fest, daß er noch etwas größer als Robert war, weit über 1,82.
Als er wieder bei ihr war, schlug Marissa ihm vor, sich in ihren Wagen zu setzen, der im Schatten stand. Tristan war einverstanden.
»Ich bin eigens aus Boston hergekommen, um mit Ihnen zu sprechen«, begann sie, sobald sie im Wagen saßen. »Sie sind nicht leicht zu finden.«
Tristan sah Marissa an und erwiderte: »Die Sache gefällt mir nicht besonders. Ich habe kein Interesse daran, von irgendwem gefunden zu werden.«
»Ich möchte mit Ihnen über den Artikel sprechen, den Sie geschrieben haben«, sagte Marissa. »Ich meine den über die tuberkulöse
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