Marissa Blumenthal 02 - Trauma
ankamen, wollte Tristan unbedingt sofort mit dem Geschäftsführer sprechen. Während sie noch auf ihn warteten, bekam Marissa Bedenken. Sich beim Geschäftsführer nach den Triaden zu erkundigen, kam ihr ungefähr so vor, als fragte man in einem New Yorker Hotel, wie man mit der Mafia in Verbindung treten könne. Mit einer Entschuldigung blieb sie am Empfangsschalter stehen, wo sie die Pässe abgegeben hatten, und begab sich dann quer durch das Foyer zu den Sitzgelegenheiten, um dort zu warten.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte der Geschäftsführer Tristan in tadellosem Englisch.
»Denke schon, Kumpel«, sagte Tristan. Er warf einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, daß ihnen niemand zuhörte. Dann beugte er sich vor. »Ich brauche eine vertrauliche Auskunft.«
Der Chinese wich etwas zurück und sah Tristan unangenehm berührt an. »Ich möchte mich mit jemandem aus der Wing-Sin-Triade unterhalten«, sagte Tristan.
»Von der habe ich noch nie gehört, Sir«, sagte der Geschäftsführer.
»Na, los doch!« sagte Tristan, nahm zwanzig Dollar aus der Tasche und legte sie auf den Schalter. »Ich bin deswegen extra von weit her gekommen.«
»Triaden sind in Hongkong verboten«, sagte der Geschäftsführer und schob Tristan das Geld zurück.
»Ob verboten oder nicht, interessiert mich eigentlich weniger«, sagte Tristan. »Ich will ja nur jemand von den Wing Sin sprechen. Ich brauche eine Auskunft und will auch gern dafür zahlen.«
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Geschäftsführer, »aber über Triaden weiß ich nicht Bescheid.« Er schien nervös zu sein, vielleicht auch verärgert.
Tristan sah dem Geschäftsführer eine Weile prüfend ins Gesicht. Dann nickte er. »Okay, aber den Zwanziger lasse ich Ihnen vorläufig hier. Könnte ja sein, daß Ihnen noch was einfällt. Wir bleiben noch mehrere Tage.«
Der Geschäftsführer sah mißbilligend auf den Geldschein. Zwanzig Dollar waren nicht genug, um ein Risiko einzugehen. Was Trinkund Schmiergelder anging, waren Australier am geizigsten. Echte Barbaren.
Der Geschäftsführer blickte hoch und sah, wie der Mann quer durchs Foyer ging. Er traf sich mit einer dunkelhaarigen Weißen und steuerte dann die Bar an. Sobald die beiden außer Sichtweite waren, nahm der Geschäftsführer von einem seiner vielen Telefone den Hörer ab. Man hatte schon sehr viele sonderbare Bitten an ihn herangetragen, seit er im Peninsula arbeitete, aber dies war eine der ungewöhnlichsten.
Marissa ließ die Eiswürfel in ihrem Glas Mineralwasser herumwirbeln und lauschte Tristans Erinnerungen an seine Kindheit in einem Vorort von Melbourne. Es hörte sich wie eine Idylle an. Täglich fuhr er in einer grünen Straßenbahn und dann in einem roten Zug in die Innenstadt zu einer Privatschule nach englischem Muster. Er hatte eine Briefmarkensammlung und ging sonntags in die Kirche. Sein Vater war Lehrer.
»Es war ein behütetes Leben«, gab er zu. »Aber sehr angenehm. Bis auf den heutigen Tag spüre ich eine starke Sehnsucht nach seiner Einfachheit. Leider starb dann mein Vater. Er war nie besonders gesund gewesen. Auf einmal welkte er dahin und war tot. War nicht mal lange krank gewesen. Danach zogen wir von Melbourne nach Brisbane, wo die Eltern meiner Mutter im Gasthausgewerbe an der Goldküste beteiligt waren. So kam es, daß ich die Universität von Queensland besucht habe«
Marissa war todmüde. Jetzt machte sich die Reise bemerkbar. Sie hörte Tristan gern zu, sehnte sich aber nach ihrem Bett. Außerdem dachte sie daran, daß sie Robert anrufen mußte. Als eine Pause im Gespräch eintrat, sagte sie daher: »Vielleicht sollten wir Schluß machen. Ich will auch meinen Mann noch anrufen und ihm sagen, daß ich jetzt hier bin.«
Marissa hatte Tristan von ihrer Kindheit in Virginia und ihrem Vater erzählt, der Chirurg gewesen war, und wie sie schließlich Medizin studiert hatte. Sie hatte auch Wert darauf gelegt, ihm von Robert zu erzählen, dabei aber geflissentlich jede Erwähnung ihrer augenblicklichen Eheprobleme vermieden.
»Ja, natürlich, Sie müssen ihn anrufen!« sagte Tristan und erhob sich. »Gehen Sie schon mal rauf! Ich komme bald nach. Ich dachte daran, vielleicht noch einen Taxifahrer nach der Wing-Sin-Triade zu fragen.«
Marissa fuhr im Fahrstuhl in den fünften Stock. Sie hatte den Zimmerschlüssel schon in der Hand. Doch in dem Augenblick, da sich die Fahrstuhltür öffnete, erschien wie aus dem Nichts der für das Stockwerk zuständige
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