Marissa Blumenthal 02 - Trauma
im Gesicht und riß ihm die Lippe auf. Dennoch ließ er die Frau nicht los. Daher holte sie erneut mit der Handtasche aus.
Robert sah den zweiten Schlag kommen, ließ ihre Taille los und umklammerte ihre beiden Arme. Aber bevor er sie in den Griff bekam, traf sie ihn wiederum, diesmal mit einem Faustschlag.
»Ahhhh!« rief Robert überrascht und schob Mrs. Ziegler weg. Die Frauen, die in ihrer Nähe saßen, sprangen auf und flüchteten zur anderen Seite des Wartezimmers.
Robert massierte sich die Schulter, an der der Faustschlag gelandet war, und behielt Mrs. Ziegler vorsichtig im Auge.
»Gehen Sie mir aus dem Weg!« fauchte sie. »Das hier geht Sie überhaupt nichts an!«
»Jetzt schon«, entgegnete Robert scharf.
Die Tür wurde aufgerissen, und vom Flur her stürmten Dr. Carpenter und Dr. Wingate herein. Hinter ihnen erschien ein uniformierter Wachmann mit dem Abzeichen der Frauenklinik auf dem Ärmel. Zu dritt schritten sie auf Mrs. Ziegler zu.
Dr. Wingate, der Direktor der Klinik und gleichzeitig Chef der IVFStation, übernahm sofort das Kommando. Er war ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit einem Vollbart und leichtem, aber deutlich hörbarem englischem Akzent. »Rebecca, was in aller Welt ist denn in Sie gefahren?« sagte er in beruhigendem Ton. »Auch wenn Sie noch so aufgeregt sind, so dürfen Sie sich nicht benehmen!«
»Ich will meine Untersuchungsergebnisse haben«, sagte Mrs. Ziegler. »Jedesmal, wenn ich herkomme, läßt man mich abblitzen. Hier stimmt doch was nicht. Irgend etwas an dieser Klinik ist faul. Ich will meine Unterlagen haben. Sie gehören mir.«
»Nein, das stimmt nicht«, stellte Dr. Wingate ruhig fest. »Die Unterlagen gehören der Frauenklinik. Wir sind uns bewußt, daß die Behandlung von Unfruchtbarkeit mit viel Streß verbunden sein kann. Wir wissen ferner, daß gelegentlich Patientinnen ihren Unmut an den Ärzten und dem technischen Personal auslassen, obwohl die ihnen ja nur helfen wollen. Wir können durchaus verstehen, daß Sie unzufrieden sind. Deshalb haben wir Ihnen ja sogar gesagt, daß Sie woanders hingehen können und daß wir in diesem Fall unsere Unterlagen gern an Ihren neuen Arzt weiterleiten werden. Das ist das bei uns übliche Verfahren. Wenn Ihr neuer Arzt bereit ist, Ihnen die Unterlagen auszuhändigen, so ist das seine Sache. Die Unantastbarkeit von Krankenunterlagen hat immer zu unseren allgemein geschätzten Grundsätzen gehört.«
»Ich bin Anwältin und kenne meine Rechte«, sagte Mrs. Ziegler, doch längst nicht mehr so überzeugt.
»Auch Anwälte können sich manchmal irren«, sagte Dr. Wingate lächelnd, und Dr. Carpenter nickte zustimmend. »Sie können gern in Ihre Krankenunterlagen Einsicht nehmen. Kommen Sie mit mir, und wir geben sie Ihnen zu lesen. Vielleicht fühlen Sie sich danach besser.«
»Warum hat man mir das nicht schon vorher angeboten?« wollte Mrs. Ziegler wissen. Tränen rannen ihr über das Gesicht. »Als ich das erstemal wegen meiner Unterlagen herkam, sagte ich der Aufnahmeschwester, ich hätte wichtige Fragen zu meinem Zustand. Nicht einmal andeutungsweise wurde mir gesagt, daß ich in die Unterlagen Einsicht nehmen könnte.«
»Das war eine bedauerliche Unterlassung«; sagte Dr. Wingate.
»Falls diese Möglichkeit nicht erwähnt wurde, möchte ich mich im Namen meiner Mitarbeiter bei Ihnen entschuldigen. Wir werden ein Rundschreiben verfassen, damit dieses Problem in Zukunft nicht mehr auftreten kann. Jetzt wird Dr. Carpenter Sie mit nach oben nehmen und Sie alles lesen lassen. Bitte.« Er streckte einladend die Hand aus.
Mrs. Ziegler bedeckte mit der Hand die Augen und ließ sich von Dr. Carpenter und dem Wachmann aus dem Zimmer geleiten. Dr. Wingate wandte sich an die übrigen Anwesenden, brachte seinen langen weißen Kittel in Ordnung, steckte das Stethoskop in eine Tasche und mehrere gläserne Petrischalen in eine andere und sagte:
»Die Klinik bittet Sie für diesen kleinen Zwischenfall um Entschuldigung.« Dann drehte er sich zu der Aufnahmeschwester um und bat sie, die Hausreinigung anzurufen, damit der Fußboden gesäubert würde.
Danach ging Dr. Wingate zu Robert, der sich mit dem Taschentuch aus der Brusttasche die aufgeplatzte Lippe abtupfte.
Dr. Wingate besah sich die Wunde, die noch immer, wenn auch weniger stark blutete, und sagte: »Tut mir schrecklich leid. Am besten, Sie gehen zu unserer Notaufnahme.«
»Ich bin schon okay«, sagte Robert und rieb sich die Schulter. »So schlimm ist es ja
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