Marissa Blumenthal 02 - Trauma
was sie wissen wollte.
»Ich habe den Mann gar nicht gekannt«, sagte der Pathologe. »Als ich hier anfing, war er nicht mehr da.«
»Als er noch an der Klinik war«, sagte Wendy, »schrieb er einen wissenschaftlichen Artikel, der sich mit einer Reihe von Patientinnen an Ihrer Klinik beschäftigte. Uns interessiert, ob es bei den beschriebenen Fällen zu irgendwelchen Folgeerscheinungen gekommen ist. Außerdem würden wir gern wissen, ob es weitere solche Fälle gegeben hat.«
»Wir haben keine neuen Fälle gehabt«, sagte der Arzt. »Und Folgeerscheinungen? Es sind keine eingetreten.«
»Wäre es möglich, uns einige Namen der angeführten Fälle zu nennen?« fragte Wendy. »Ich würde dann direkt mit den Frauen Verbindung aufnehmen, um mit ihnen ihre Krankengeschichten zu erörtern. Wir haben nämlich hier in Boston fünf gleichgelagerte Fälle.«
»Das ist gänzlich ausgeschlossen«, sagte der Arzt. »Unsere Vorschriften verpflichten uns zu strenger Vertraulichkeit. Tut mir leid.« Als nächstes hörten sie ein Klicken.
»Er hat aufgehängt!« sagte Wendy empört. »Was für eine Chuzpe!«
»Die altbekannte Mauer der Vertraulichkeit«, sagte Marissa und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Wirklich schade! 23 Fälle hätten wahrscheinlich ausgereicht, um daraus realistische Schlüsse zu ziehen.«
»Was hältst du davon«, fragte Wendy, »wenn wir uns mal ausführlicher mit den beiden Frauen unterhielten, die wir bei dem ResolveTreffen aufgetan haben?«
»Na ja«, sagte Marissa. Ihre Begeisterung hatte einen merklichen Dämpfer erhalten. Es schien unmöglich zu sein, an Informationen heranzukommen. »Ich würde lieber die 18 Fälle näher kennenlernen, die nach den Angaben des Computers außerdem in der Frauenklinik behandelt werden.«
»Das ist nur leider nicht zu machen«, sagte Wendy. »Aber ich würde gern mal wissen, wie uns diese Leute von Female Care Australia behandeln würden, wenn wir plötzlich bei Ihnen auf der Türschwelle stünden.«
»Ja, klar«, sagte Marissa. »Wir brauchen doch bloß morgen vormittag bei ihnen vorbeizugehen und sie zu fragen.«
»So abwegig erscheint mir das gar nicht«, sagte Wendy mit blitzenden Augen. »Ich bin wirklich neugierig, was sie machen würden, wenn wir ihrer Klinik einen Besuch abstatteten. Ich nehme an, sie würden sich geschmeichelt fühlen, weil wir um die halbe Erde geflogen sind, um ihre Einrichtungen zu besichtigen.«
»Meinst du das ernst?« fragte Marissa ungläubig.
»Warum nicht?« antwortete Wendy. »Je länger ich mit dieser Idee spiele, um so besser erscheint sie mir. Weiß Gott, wir haben doch beide einen Urlaub nötig! Und da unten sind unsere Chancen, diesen Tristan Williams aufzustöbern, viel größer. Irgendeiner in der Pathologie der Klinik weiß bestimmt, wohin er gegangen ist. Du wirst zugeben, das wäre viel einfacher, als es weiter telefonisch zu versuchen.«
»Wendy«, sagte Marissa mit müder Stimme, »ich fühle mich nicht in der Lage, zigtausend Kilometer zu fliegen, um nach einem Pathologen zu suchen.«
»Aber es wäre doch ein reines Vergnügen.« Wendys Augen bekamen neuen Glanz. »Wenn sonst nichts dabei herauskäme, hätten wir immerhin das Große Barriereriff kennengelernt.«
»Ach, jetzt verstehe ich deine Motive. Der Besuch in der FCAKlinik dient dir nur als Vorwand für eine Tauchexpedition.«
»Ein bißchen Vergnügen nach getaner Arbeit ist schließlich nicht verboten«, sagte Wendy lächelnd. »Du siehst ebenso schlecht aus wie ich.«
»Vielen Dank, sehr freundlich«, sagte Marissa pikiert.
»Ich spreche im Ernst«, sagte Wendy. »Wir beide plagen uns jetzt seit einem halben Jahr mit künstlicher Befruchtung. Wir haben geweint wie kleine Kinder. Wir haben beide zugenommen. Wann bist du zum letztenmal joggen gewesen? Ich kann mich erinnern, daß du das früher jeden Tag gemacht hast.«
»Das geht wirklich unter die Gürtellinie.«
»Der springende Punkt ist, daß wir beide einen Urlaub nötig haben«, sagte Wendy. »Und wir sind beide lebhaft an dieser Serie von Fällen tuberkulöser Eileiterinfektion interessiert. Aber hier kommen wir nicht weiter. So wie ich es sehe, könnten wir da unten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
»Vielleicht erfahren wir noch von einigen Fällen im Memorial und im General Hospital«, sagte Marissa. »Bisher haben wir unsere hiesigen Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft.«
Wendy ließ sich nicht beirren. »Willst du mir weismachen, daß du keinen Urlaub nötig
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