Marissa Blumenthal 02 - Trauma
heule schon wieder.« Sie machte sich eine Tasse Instantkaffee und trug sie nach oben, um sie während des Anziehens zu trinken.
»Ist es denn zuviel verlangt, daß man mir eine Nachricht hinterläßt?« sagte sie laut und ging zum Duschen ins Badezimmer.
Als Marissa sich anzog und Make-up auftrug, entschloß sie sich, ihr Leben wieder halbwegs normal zu gestalten. Wenigstens versuchen mußte sie es. In einem gab sie Robert recht: ihre Praxis lag in Scherben. Vielleicht konnte sie einen Neuanfang machen, indem sie wieder regelmäßiger zur Arbeit ging. Vielleicht würde das auch ihre Beziehung zu Robert verbessern. Mit dieser Idee im Kopf beschloß sie, schnurstracks in die Kinderklinik zu fahren.
Bevor sie zum Wagen ging, musterte sie sich im fußlangen Flurspiegel und murmelte: »Ich werde auch wieder anfangen zu trainieren. Es wäre doch großartig, wenn ich auf mein altes Gewicht käme.«
Im Gefühl dieser neuen Entschlossenheit schritt Marissa wenig später durch den Hauptflur der Klinik und bog dann zu ihrer Praxis um die Ecke. Im Gegensatz zu den anderen Wartezimmern war ihr Zimmer leer. Am Empfang fand sie Mindy Valdanus vor. Sie war dabei, die Post zu öffnen.
»Dr. Blumenthal!« rief Mindy.
»Tun Sie doch nicht so überrascht!« sagte Marissa.
»Kommen Sie zu mir, und bringen Sie den Terminkalender mit! Wir müssen planen.«
»Sie hatten gerade einen Anruf von der Intensivstation im Memorial«, sagte Mindy und reichte ihr den Zettel mit der telefonischen Mitteilung: »Dr. Ben Goldman bittet um Rückruf.«
Marissa spürte einen Stich im Herzen. Ihr erster Gedanke war: Evelyn Welles ist gestorben. »Warten Sie noch mit dem Terminkalender!« sagte sie, machte die Tür zum Sprechzimmer auf und ging hinein.
Nachdem Marissa den Mantel aufgehängt hatte, rief sie Dr. Goldman an. Es meldete sich eine Schwester aus der Intensivstation. Sie bat sie zu warten, sie werde ihn holen. Marissa spielte mit einer Heftnadel, um sich die Wartezeit zu vertreiben.
Eine Minute später war Dr. Goldman am Apparat und kam sofort zur Sache. »Ich habe wegen Evelyn Welles angerufen«, sagte er.
»Wie geht es ihr?« fragte Marissa und fürchtete sich schon vor der Antwort.
»Klinisch gesehen fast unverändert«, sagte Dr. Goldman. »Aber wir haben auf Ihren Vorschlag hin Abstriche von den Vaginalsekreten
gemacht, und sie waren voll von säurefesten Bazillen. Ich meine, voll von Tbc. Mein Chef war sehr beeindruckt, aber ich habe mannhaft der Versuchung widerstanden, mir das Verdienst zuzuschreiben. Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, daß wir dort etwas finden würden?«
»Wenn ich das jetzt erklären sollte, würde es eine Stunde dauern«, sagte Marissa. »Was ist mit der Frauenklinik? Haben Sie daran gedacht, den Ehemann zu fragen?«
»Na klar«, sagte Dr. Goldman. »Die Antwort lautete ja. Sie war dort mehrere Jahre lang Patientin.«
»Und die Krankenakte?« fragte Marissa.
»Das weiß ich nicht«, sagte Dr. Goldman. »Aber ich habe den Mann gebeten, uns nach Möglichkeit eine Kopie zu besorgen. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn sich etwas ergibt.«
»Die Krankenakte könnte der Schlüssel zu allem sein«, sagte Marissa. »Ich wäre sehr daran interessiert, sie einzusehen. Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie sie erhalten!«
»Mach ich bestimmt«, sagte Dr. Goldman. »Und danke für den Tip, in der Vagina nach Tbc zu suchen. Ich habe einen Frauenarzt zur Konsultation hinzugezogen. Er kommt heute irgendwann.«
Es war jetzt so weit gekommen, daß Marissa über die Bestätigung ihrer Verdachtsmomente kaum noch überrascht war. Es war fast angenehm zu erleben, daß die Teile des Puzzlespiels sich allmählich zu einem Bild fügten. Wenn Goldman ihr die Akte nicht beschaffen sollte, würde sie sich selber mit Evelyn Welles’ Ehemann in Verbindung setzen.
Es klopfte an die Tür, und ihre Sekretärin kam herein. Sie hielt Marissas Terminkalender in der Hand. »Wollen Sie das jetzt erledigen?« fragte sie.
»Nein, jetzt nicht«, sagte Marissa. »In meinem Tagesplan hat sich eine kleine Änderung ergeben. Ich muß für kurze Zeit weg. Sowie ich zurückkomme, holen wir es nach.«
Marissa holte ihren Mantel. Sie hatte eine blitzschnelle Entscheidung getroffen. Das Problem der tuberkulösen Eileiterinfektion war zu wichtig, um es aus den Augen zu lassen. Es war notwendig, ihm
sofort nachzugehen. Das mußte Robert doch einsehen! Allerdings war dazu eine echte Aussprache vonnöten. Nicht mehr diese halbherzigen Versuche.
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