Marissa Blumenthal 02 - Trauma
sagte Mr. Carstans.
»Der Artikel ist erst vor zwei Jahren erschienen«, sagte Wendy.
»Wie kommt es, daß die Public-Relations-Abteilung ihn nicht zu Gesicht bekommen hat? Ich hätte angenommen, daß ein solcher Artikel eine herausragende Bedeutung für Sie hätte. Er berichtet von einer Reihe verhältnismäßig junger Frauen, die an einer tuberkulosen Eileiterinfektion erkrankt waren.«
»Ich lese im allgemeinen keine Fachjournale«, sagte Mr. Carstans.
»In welchem Journal wurde er veröffentlicht?«
»Im Australischen Journal für Infektionskrankheiten«, sagte Marissa. »Der Autor war Dr. Tristan Williams. Anscheinend war er bei Ihnen in der Pathologie angestellt. Haben Sie ihn gekannt?«
»Leider nicht«, sagte Mr. Carstans. »Aber ich kenne auch nicht sämtliche Mitarbeiter. Für solche Fragen muß ich Sie an Charles Lester verweisen. Er ist der Direktor der Klinik.«
»Glauben Sie, daß er zu einem Gespräch mit uns bereit wäre?« fragte Marissa.
»Unter diesen Umständen«, sagte Mr. Carstans, »glaube ich, daß er gern dazu bereit wäre. Wenn Sie sich einen Moment gedulden wollen, gehe ich mal rauf und erkundige mich, ob er im Augenblick frei ist.«
Marissa und Wendy sahen Mr. Carstans durch die Tür zu einer Wendeltreppe verschwinden. Dann sahen sie sich an. »Was denkst du?« fragte Wendy.
»Weiß ich nicht«, sagte Marissa. »Ich könnte nicht sagen, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.«
»Mich beschleicht allmählich ein sonderbares Gefühl«, sagte Wendy. »Diese Klinik ist zu schön, um wahr zu sein. Hast du schon jemals einen solchen Luxus in einer Klinik gesehen?«
»Mich erstaunt, daß es für uns möglich sein soll, mit dem Direktor zu sprechen«, sagte Marissa. »Ich hätte nicht gedacht, daß das ohne förmliche Einladung geht.«
In diesem Augenblick tauchte Mr. Carstans wieder auf. »Sie haben Glück«, sagte er. »Der Direktor ist erfreut, zwei geschätzte Kolleginnen aus Boston begrüßen zu können, vorausgesetzt, Sie bringen die nötige Zeit mit.«
»Aber ja«, sagte Marissa.
Sie folgten Mr. Carstans eine Treppenflucht hinauf. Die Ausstattung der Bürosuite des Direktors war noch luxuriöser als alles, was sie bisher besichtigt hatten. Es war, als beträten sie das Büro einer großen Fortune-500-Gesellschaft.
»Kommen Sie doch herein!« sagte der Direktor und stand zur Begrüßung von Marissa und Wendy von seinem Schreibtisch auf. Dann schüttelte er beiden die Hand, wies ihnen mit einer Handbewegung bequeme Sitzgelegenheiten an und entließ Mr. Carstans, der sich diskret entfernte und hinter sich die Tür schloß. Der Direktor kam auf die beiden Frauen zu und fragte: »Was halten Sie von einer Tasse frischem Kaffee? Ich weiß, ihr Yanks trinkt viel Kaffee.«
Charles Lester war ein großer breitschultriger Mann, aber nicht so fett wie Carstans. Er sah eher wie ein in Ehren ergrauter Athlet aus, der immer noch ein gutes Tennis spielt. Sein Gesicht war ebenso sonnengebräunt wie bei allen Einwohnern der Stadt. Er hatte tiefliegende Augen und einen dichten Schnurrbart.
»Ich nehme gern einen Kaffee«, sagte Wendy. Marissa nickte ebenfalls zustimmend.
Lester drückte auf den Summer und bat seine Sekretärin, drei Tassen Kaffee zu bringen. Die Wartezeit überbrückte er durch ein unverbindliches Geplauder mit den beiden Frauen. Er fragte sie, an welchen Krankenhäusern sie tätig seien und wo sie ihre fachärztliche Ausbildung genossen hätten. Lester vertraute ihnen an, daß er als Stipendiat zeitweise in Boston tätig gewesen sei.
»Sie sind Arzt?« fragte Wendy.
»O ja, sehr sogar«, sagte Lester. »Bei uns reden sich viele in englischer Art an. Während meiner Ausbildung zum gynäkologischen Chirurgen in London habe ich mich auch an die Anrede ›Mister‹ gewöhnt. Leider habe ich in letzter Zeit nicht viel Gelegenheit gehabt, als Arzt in der Klinik zu wirken, weil mich die Verwaltungsarbeit mehr an den Schreibtisch fesselt, als mir lieb ist.«
Ein Kellner kam und servierte den Kaffee. Lester goß ein bißchen Sahne in seine Tasse, lehnte sich zurück und musterte die beiden Frauen über den Tassenrand hinweg.
»Mr. Carstans hat mir beiläufig gesagt, daß Sie sich nach einem alten Artikel aus einem Journal erkundigt hätten«, sagte Lester. »Darf ich fragen, wovon der Artikel handelte?«
Marissa zog den Nachdruck aus der Umhängetasche und reichte ihn Mr. Lester. Wie Carstans warf er nur einen kurzen Blick darauf und gab ihn dann zurück.
»Warum
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