Mark Brandis - Salomon 76 (Weltraumpartisanen) (German Edition)
Henri Villiers, der Minister, der Idealist, seinen letzten Atemzug getan hatte – verurteilt, verdammt unter dem zustimmenden Gejohle der Menge!
Das Frösteln verflog. Eine höhere Gewalt enthob mich aller Skrupel. Irgendwo im Raum, ohne mein Dazutun, waren die Würfel gefallen.
Als ich aufstand – diesmal zum Zeichen, daß sich die Besprechung ihrem Ende zuneigte –, hatte ich endgültig den mir vorgezeichneten Weg erkannt. Flucht allein war nicht genug. Unter den Sternen gab es keinen Logenplatz, um in aller Ruhe die weitere Entwicklung abzuwarten. Eine Wahrheit zu wissen und nichts zu tun, um ihr zum Sieg zu verhelfen, das ist die Verhaltensweise eines Komplizen.
»Meine Herren«, sagte ich, »damit ist die Entscheidung gefallen. Auf TRABANT IX dürfte mehr Proviant lagern, als wir benötigen. Wir werden uns bedienen.«
Kapitel 14
Einntragung in das Bordbuch Ares I
13. 9.2076
07.26 Uhr
TRABANT IX kommt in Sicht.
07.37 Uhr
Klar Schiff zum Gefecht.
Laut separater Eintragung übernehme ich für diesen Befehl die volle Verantwortung.
07.32 Uhr
Funkspruch an TRABANT IX mit der Aufforderung zur Kapitulation.
Keine Antwort.
07.35 Uhr
FK meldet verschlüsselte Hilferufe von TRABANT IX.
07.36 Uhr
Ares I fliegt ersten Angriff mit Ziel Antennensystem.
Volltreffer. TRABANT IX wird zum Schweigen gebracht.
07.40 Uhr
Blinkspruch an TRABANT IX mit neuerlicher Aufforderung zur Kapitulation.
Fünf Minuten Bedenkzeit.
07.44 Uhr
Zweiter Blinkspruch an TRABANT IX.
Weise darauf hin, daß ich nach Ablauf der gesetzten Frist das Feuer eröffne.
07.45 Uhr
TRABANT IX zeigt die weiße Fahne.
07.51 Uhr
Ares I landet auf TRABANT IX.
Kein Widerstand.
07.53 Uhr
Lieutenant Stroganow, Lieutenant Minkowski und Sergeant Dahlsen gehen von Bord.
Ares I bleibt gefechtsbereit.
07.58 Uhr
Uhr Lieutenant Minkowski kehrt zum Schiff zurück und meldet die vollzogene Entwaffnung der Garnison (40 Polizisten, 1 Major).
Die Besatzung befindet sich in sicherem Gewahrsam.
Lieutenant Minkowski meldet weiterhin die Anwesenheit von 312 zur Exekution bereitgehaltenen Häftlingen. Mit ihrer Hinrichtung wäre ohne unser Eingreifen um 08.00 Uhr begonnen worden.
08.01 Uhr
Captain Romen, Lieutenant Mercier, Lieutenant Xuma und ich gehen von Bord.
Lieutenant Simopulos bleibt als Radarwache auf Ares I zurück.
Zu meiner großen Befriedigung hatte auch dieser Handstreich zu keinem Blutvergießen geführt.
Denjenigen unter meinen Lesern, denen meine Haltung unverständlich erscheint, will ich entgegenhalten, daß ich trotz allem, was mir und meiner Besatzung, aber auch Ruth O‘Hara widerfahren war, gegen die Polizisten keinerlei persönliche Feindschaft hegte. Ich sah in ihnen lediglich ein ausführendes Organ, dessen ganze Schuld im Gehorsam lag. Und die beschämende Erinnerung daran, daß auch ich vor noch gar nicht langer Zeit vor SALOMON 76 das Knie gebeugt hatte, war noch frisch.
Andererseits – auch dies muß festgehalten werden – hätte ich nicht gezögert, etwaigen Widerstand mit Waffengewalt zu brechen. Die Notwendigkeit, Ares I für einen notfalls längeren Aufenthalt im Raum hinreichend zu verproviantieren, war ein unerbittliches Diktat.
Ich betrat die Station, die – wenn es nach dem Willen von SALOMON 76 gegangen wäre – für meine Männer und mich zur Stätte unseres Todes geworden wäre, mit gemischten Gefühlen. In den Triumph über den leicht und billig errungenen Sieg mischte sich das Grauen.
Dieses Grauen verstärkte sich noch, als ich, geführt von Lieutenant Stroganow, die eigentliche Todeskammer betrat. Eine Beschreibung dessen, was ich dort sah, halte ich nicht für zweckmäßig; mir würden dafür auch die passenden Worte fehlen.
Nur so viel sei angedeutet: Wer immer geglaubt hätte, daß das Mittelalter mit seinen moralischen Niederungen eine abgeschlossene, unwiederholbare Epoche darstellt, wäre in dieser Todeskammer eines Besseren belehrt worden. Gewiß, die Technik des Tötens war verfeinert und weitgehend automatisiert, doch hinter all dieser Humanität vorschützenden Raffinesse stand unübersehbar der alte, finstere mittelalterliche Geist.
Dem Menschen, dies begriff ich bei der Besichtigung von TRABANT IX, fällt es offenbar schwer, mit seiner zivilisatorischen Entwicklung Schritt zu halten. Oft bedarf es nur eines geringfügigen Anstoßes – und er fällt von den Sternen herab in den stinkenden Sumpf seiner Vorzeit. Und dort bliebe er verloren, gäbe es in seinen Reihen nicht immer
Weitere Kostenlose Bücher