Markttreiben
aufmerksam an und sah einmal mehr einfach
entzückend aus.
»Das werden wir sehen.«
Evi verzog die Schnute, was zum Niederknien niedlich aussah. »Na,
dann schauen wir uns den mal an.«
Sie durchfuhren den Guggenbergtunnel, Gerhard war immer noch
verblüfft, wie schnell man durch die neue Umgehung in Hohenpeißenberg war.
Socher wohnte im Steingadener Weg.
Der Hausherr öffnete selbst, und er war kein Männchen. Er maß sicher
fast einen Meter neunzig. Sein graues Haar war voll, seine Gesichtszüge waren
markig. So stellte sich Gerhard eher einen Bundeswehroberst a. D. vor,
aber doch keinen Lehrer. Socher sah sie fragend an. »Ja bitte?«
Gerhard stellte sich und die Kollegin vor.
»Ach, die Gesetzeshüter! Wollen Sie den Film verbieten? Das wäre
doch mal ein löblicher Einsatz für das Staatswesen!«, rief Socher.
Na, der hielt sich ja nicht lange auf.
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Evi zuckersüß.
»Sicher, gnädige Frau.« Er strahlte Evi an, ignorierte Gerhard und
ging vor.
Das Wohnzimmer sah aus wie jedes Wohnzimmer im
Bildungsbürgerhaushalt. Regale, die sich bis in die Decke zu schrauben
schienen, Bücher über Bücher. Eine in die Jahre gekommene Couchgarnitur, ein
Tisch, bedeckt von Zeitungen. » SZ «,
»Die Zeit«, »Der Spiegel«, eine »Neue Zürcher« … Eine gepflegte Nachlässigkeit,
die demonstrierte: Wir legen mehr Wert auf die geistige Nahrung als auf schnöde
Statussymbole. Ein Fernseher war nicht zu sehen.
Gerhard fühlte sich unwohl. Es war zu heiß, der Typ machte ihn
aggressiv, und er raunzte ihn an.
»Sie haben keinen Fernseher, Herr Socher? Wieso dann Ihr
stimmgewaltiger Einsatz gegen den Film? Ich hatte Einsicht in Ihre Leserbriefe,
da mussten Sie sich die Schmonzetten aber doch ansehen, oder?«
Socher starrte ihn an. Es flackerte in seinen Augen, dann setzte er
aber einen mehr gelangweilten Blick auf, den des Lehrers für einen unbegabten
Schüler, den der Meister sowieso längst aufgegeben hatte. »Ich habe
recherchiert, selbstredend. Ich spreche nicht über Dinge, die ich nicht vorher
intensiv beleuchtet habe. Wir haben einen Fernseher, oben im Haushaltsraum
meiner Frau.«
Oh, die Gattin durfte im Kammerl ihr tristes und dunkles Bügeldasein
durch Soaps erhellen. Gerhard verkniff sich den Satz.
»Sie waren aber tatsächlich ein vehementer Gegner des Films, oder?«
Evi flötete und strahlte Socher an.
»Ja, und das bleibe ich auch. Volksverdummung, Klischees, aus der
Schublade, die jeder aufziehen kann! Dümmliche Handlung, schlechte
Schauspieler, Statisten in Landhaus-Oktoberfest-Dirndl und in der Lederhosn,
pseudobairische Sprache, norddeutsche Schauspieler, Bayernklischees zum
Erbrechen schlecht!«
Er klang gut, das zumindest musste Gerhard zugeben: Seine Stimme war
wohlklingend, männlich, artikuliert. Evi schien ihn ganz toll zu finden. Ihn
nervte der Typ.
»Nicht jeder ist für ARTE geboren, für Kunstfilme mit seltsamer Kameraführung und aus dem Film tropfender
Depression. Einfach mal Unterhaltung, lassen Sie so was denn gar nicht gelten,
Herr Socher?«
Bei »aus dem Film tropfender Depression« war Socher regelrecht
zusammengezuckt. Klar, der Deutschlehrer hätte das fett unterringelt: Ausdruck.
»Herr Kommissar, das mag ja Ihnen und Ihresgleichen gefallen, aber
nur weil alle das sinkende Niveau noch unterbieten wollen, kann es ja noch
einige geben, die …«
Gerhard war ihm barsch ins Wort gefallen. »Meinesgleichen? Herr
Socher, Sie dürfen versichert sein, bei der Polizei ist Hauptschule ohne Quali
nicht gefragt, ich habe sogar Abitur und studiert. Und lese trotzdem keine
›Zeit‹, keine intellektuelle Selbstbeweihräucherung sogenannter Kulturjournalisten.«
Evi war dem Gespräch erstaunt gefolgt, warf Gerhard einen bösen
Blick zu und fiel ein: »Wir wollen doch nun keine Kulturdiskussion führen. Was
interessiert, ist einzig die Tatsache: Sie hatten mehrfach Streit mit Leo Lang,
der nun tot ist.«
Socher fuhr herum. »Sie wollen mich nun aber nicht verdächtigen,
etwas mit dem Tod von Leo zu tun zu haben?« Er lachte, und das klang irgendwie
gestellt. »Ich denke, er wurde wegen dieser Kameras getötet.« Er machte eine
kurze Pause und lächelte süffisant. »Das ist doch eine interessante Fügung des
Schicksals. Der größte Freund der Verdummungsfilmerei muss ausgerechnet wegen
dieser sterben. So als gäbe es eine höhere Macht.«
Gerhard war nahe dran, ihn anzubrüllen, dass die Kameras gefunden
seien. Das verkniff er sich gerade
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