Markttreiben
denn
die unschuldigen Kinderseelen und aufnahmefähigen Kinderhirne fielen dann ja
weg. Da blieb die Flucht in Gremien, freie Bürgergruppierungen, die Lokalpresse,
in die Bürgerwehr … Hatte Socher sich so sehr gewehrt, dass Leo hatte dran
glauben müssen?
»Aber was hat das mit Leo zu tun?«, fragte Gerhard.
»Leo war sozusagen das Filmmaskottchen. War von Anfang an dabei.
Sozusagen als Best Boy, als Statist, als Wächter der Kameras. Er hatte öfter
auf die Kameras und das Equipment aufgepasst. War für die Filmleute einfach
praktischer. Die hatten beispielsweise einen Nachtdreh, und am nächsten Morgen
ging es früh weiter. Da ist es einfacher, das Zeugs in ein Sparkassenfoyer zu
schaffen, anstatt alles abzubauen und in den Lkw zu schichten.«
»Na, da haben sie ja den Bock zum Gärtner gemacht. Und so ein
wehrhafter Arnold Schwarzenegger war er ja auch nicht. Im Verteidigungsfall …«
Gerhard verzog das Gesicht.
»Ja gut, Weinzirl. Er war zwar ein alterndes Dickerchen, aber er
galt was beim Burschenverein. Die weitverzweigte Familie Lang ist wer! Man
unterschätze nie die Macht der Burschenvereine, sie machen Meinung, sie kommen
aus den Familien, die in Dörfern die Fäden in der Hand haben. Da steigen die
Zuagroasten nie durch, Weinzirl, nie. Der Burschenverein war pro Film, andere
Zirkel im Dorf kontra. Die Intellektuellen waren dagegen, die kulturelle
Marktgemeinde-High-Society sah und sieht, wie ein falsches Bayernbild gemalt
wird. Socher war die Frontfigur, der Fahnenträger, der Marktschreier. Klagt die
Klischeehaftigkeit an und ist selber das größte Klischee vom Kulturmenschen,
der glaubt, ein Theaterabo in Weilheim und ein Ausflug nach Verona machten ihn
zum besseren Menschen.«
Eine lange Rede für Baier, dachte Gerhard. Er lächelte leicht. »Und
Sie, Baier?«
»Weinzirl, Sie kennen mich. Mir ist das wurscht. Stört, wenn man mit
dem Auto nicht durchkommt, weil Dreh ist. Sonst ist mir das wurscht. Wer glaubt
denn im Ernst, so was habe Nachhaltigkeit? Das flimmert bei so ‘nem Privaten in
zwei Stunden übern Schirm, ‘ne knappe Stunde ist eh Werbung. Der Abspann, wo
der Gemeinde Peiting gedankt wird, ist weggeschnitten, die wenigsten Zuschauer
wissen überhaupt, wo gedreht wurde. Morgen kommt ein neues dünnes Filmchen. Und
ob wir Bayern da gut oder schlecht wegkommen, ja mei, Weinzirl? Den Schuh, als
dumme Bayern zu gelten, ziehen wir uns doch selber an.«
»Da haben Sie wahrscheinlich recht. Und wahrscheinlich ging es den
meisten wie Ihnen. Egal, piepegal, scheißegal … Nur Leo war richtig heiß auf
den Film?«, fragte Gerhard.
»Er und ein paar andere. Socher hat sich reingesteigert.
Haarsträubendes Zeug hat er von sich gegeben, Sie haben ja seine Leserbriefe
eben gelesen. Ich war sogar mal dabei, als Socher und Leo sich gefetzt hatten.«
»Ja?«
»Ja, im Marktgemeinderat. Als es um die Frage nach der Unterstützung
für den Film ging. Sie wissen schon: Feuerwehr zum Absperren und so weiter. Die
Frage nach Freiwilligen, die Sitzung war öffentlich. Na ja, Leo war mit ein
paar Burschenvereinlern da, und er war Feuer und Flamme.« Er lachte kurz auf.
»Das würde jetzt eher zur Feuerwehr passen, aber die waren nur verhalten
begeistert. Jedenfalls hat Socher Leo angegangen, er schließe sich der Liga der
Volksverdummten an, er sei ein williges Werkzeug in der Hand der von Werbung
fehlfinanzierten Filmbranche.«
»Und dann?« Gerhard grinste.
»Leo hat sich das eine Weile angehört, dann hat er Socher am Kragen
gepackt und gesagt: ›Du bist bloß neidisch, weil s’ dich nicht nehmen. Weil der
Rauch-Siggi einfach besser aussieht.‹ Der Saal hat sich sozusagen komplett
verschluckt vor Lachen, der ganze Saal hat gerülpst vor Lachen, Socher ist
hinausgestürmt. Eine Schmach, Weinzirl. Socher ist ehrpieselig für drei. So was
lässt der nicht auf sich sitzen.«
»Wie ging’s dann weiter?«
»Socher hat die Filmfreunde mit Verachtung gestraft. Er umschiffte
das Zentrum. Allerdings war er auf dem Bürgerfest, und da ist er wieder mit Leo
zusammengerückt. Sagt Winnie. Und alles wegen so einem Schmarrn.«
»Ist der Film denn so ein Schmarrn?«
»Keine Ahnung, Weinzirl. Da sollte man erst mal das Ergebnis sehen,
den ganzen Film, oder, Weinzirl? Es geht irgendwie um ‘nen jungen Typen, der
heimkommt zu Mama und heiraten will. Michi bringt er mit. Michi ist dann aber
keine Michaela, sondern ein Michael. Michi ist ein Mann, und der Film geht
drum, wie die Umgebung reagiert. Ich hab
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