Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Markttreiben

Markttreiben

Titel: Markttreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
Vom Netzwerk:
Intimität, die mich
unangenehm berührt. Aber nur da. Mit einem Gegenüber aus Fleisch und Blut, mit
Augenkontakt ist man kalt, metallisch und betrunken.«
    Das stimmte wohl, und Gerhard sah die Welt oft sehr düster. Die
Zukunft, obwohl er doch eigentlich als Optimist verschrien war. Aber hier ging
es nicht ums Philosophieren, sondern um Mord.
    »Hatte Miri denn Feinde, wenn wir mal von den beiden Ehefrauen
absehen? Sofern sie es gewusst haben.«
    Bettina Deutz sah ernst drein. »Sie hatte Feinde bei den Eltern und
unter den Kollegen. Wegen einer Schülerin. Miri hatte doch zwei Häuser in
Peiting geerbt, das, in dem sie lebt, und noch eins einige Straßen entfernt. In
ihrem Haus stand eine Wohnung leer, und bis die vermietet war, hat sie die
Wohnung einer dreizehnjährigen Schülerin und deren Freund zur Verfügung
gestellt.«
    »Wie?«, rief Evi.
    »Na ja, es war ja leer, die beiden haben sich da halt mit einer
Matratze, Kerzen, einem alten Kühlschrank und ein paar Halstüchern statt
Vorhängen eingerichtet.«
    »Ein Liebesnest? Für eine Dreizehnjährige?« Gerhard war etwas lauter
geworden.
    »Ja, ja, ich weiß, was jetzt kommt. Das Mädchen hatte ungeheuren
Ärger mit ihren Eltern, und ihr Freund gab ihr Halt. Zwei wirklich prima Kids,
weit integrer als ihre Eltern.«
    »Weiter im Text, also Miri?«, bellte Gerhard lauter als nötig.
    »Natürlich hat am Ende die Mutter das mitgekriegt und die Sache
einem Kollegen, den sie kannte, erzählt. Die beiden gingen dann ins Direktorat.
Es gab einen Mordsaufzug, eine Abmahnung für Miri; unsere ach so toleranten,
pädagogisch gebildeten Kollegen haben Front gegen Miri gemacht. Sich entrüstet.
Alle außer mir und zwei weiteren bösen Nonkonformisten.« Sie lachte bitter.
»Dabei geht das eine Ehepaar in einen Swingerklub im Unterallgäu draußen, einer
ist schwul und hält den Deckel drauf, er glaubt, in Augsburg kennt ihn keiner.
Die eine hat ‘ne Tochter, die schon dreimal wegen Komasaufen im Schongauer
Krankenhaus gelandet ist. Der andere hat ‘nen ganz sauberen Sohn, und der klaut
auf Baustellen.«
    »Das wissen Sie alles so?«, fragte Gerhard.
    »Natürlich, in engen Räumen weiß immer jeder alles. Viele auch noch
mehr. Die Frage ist doch, wie gehe ich damit um. Leben und leben lassen.
Solange ich weder selbst- noch fremdgefährdend bin, geht das keinen was an,
würde ich sagen. Die hätten alle genug vor den eigenen Türen zu kehren, da haben
sich ganze Müllhalden an Lug und Trug angehäuft, aber es ist immer einfacher,
in den Leben anderer zu stochern.«
    Das war sicher wahr, dachte Gerhard, aber ihm genügte das nicht.
»Gut, unerfreulich, aber ein Risiko, mit dem Miri hatte leben müssen, oder? Das
musste sie einkalkuliert haben, oder? Ich wundere mich immer über euch, über,
äh, Menschen, die Reaktionen provozieren und dann mit den Folgen nicht leben
können.«
    »Sie wollten sagen: ›Ich wundere mich über euch Frauen‹, oder, Herr
Weinzirl?«, sagte Bettina Deutz.
    Gerhard schluckte eine rasche Antwort hinunter, er sah an Evi
vorbei. Nach einer Weile hob er erneut an: »Das war vorhersehbar, oder, Frau
Deutz?«
    »Ja, war es, aber nicht in dieser Heftigkeit. Die Oma war ja an dem
Komplott beteiligt, Miri hatte natürlich gewusst, dass das Versteckspiel
auffliegen musste. Sie hatte die Eltern aufrütteln wollen, wollte erneut
versuchen, mit ihnen zu reden. Aber sie hat nicht damit gerechnet, dass es
solche Kreise ziehen würde. Dass sich das gesamte Kollegium, die halbe
Elternschaft einmischen würden. Dass alle kommentieren und gegen sie
intrigieren würden. Der Elternbeirat forderte ihre Absetzung als Lehrerin.«
    »Dem nicht nachgekommen worden ist, oder?«, fragte Gerhard.
    »Nein, Schulrat und Kultusministerium haben sich dagegen
ausgesprochen.«
    »Sie hat weiter unterrichtet? Das muss doch furchtbar gewesen sein
in so einem Klima«, fragte Evi erstaunt.
    »Ja, aber sie war damals noch trotzig. ›Jetzt gerade‹, hat sie
gesagt.«
    »Das war wann?«, fragte Evi.
    »Vor knapp zwei Jahren.«
    »Sie war eine Kämpferin, oder?«, mischte sich Gerhard ein. »Wie
passt das dann zusammen, dass sie den Schuldienst aufgegeben hat?«
    »Sie meinen, so eine starke Frau gibt nicht auf?«
    »So ähnlich.«
    Sie sah ihn prüfend an. »Es gibt einen ganz guten Satz: Täter suchen
sich keine Gegner, sondern Opfer. Im Vollbesitz ihrer Kräfte war sie eine
Gegnerin, und zwar eine intelligente und tatkräftige Gegnerin. Aber in dem
Moment war sie schwach.

Weitere Kostenlose Bücher