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Markttreiben

Markttreiben

Titel: Markttreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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Hautfalten besitzen, denen ihr Fell nicht passt. Er
versuchte sich zu konzentrieren. Rainer Bader, einer der Lover von Miri Keller,
hatte diesen Schrank vor knapp einem Monat restauriert. Das ging aus dem Datum
der Rechnung hervor. Er musste den doppelten Boden und die Papiere entdeckt
haben. Klar! Er würde sie Leo Lang gezeigt haben, und wenn der die Rechnung
dazwischengewurschtelt hatte, hatte Lang die Papiere sicher auch studiert. Alte
Papiere und eine neue Rechnung.
    Valentin Lang, wer war das gewesen? Leo Langs Vater? Und Paulus?
Franz Paulus? Wo war ihm der Name Paulus untergekommen? Klar, Baier hatte ihn
erwähnt, natürlich Miri auch: Die alte Dame im betreuten Wohnen, mit der sie
Englischkonversation geübt hatte, die hieß Paulus!
    Gerhard griff zu seinem Handy. Baier klang brummig, als er sich
meldete.
    »Wer ist Valentin Lang, wer Franz Paulus?«
    Baier gab keine Antwort.
    »Worauf konnte man 1961 Patente anmelden, wenn man in Peiting war?«
    »Bergwerk«, brummte Baier. »Bergwerk, was sonst.«
    »Ich weiß, dass Sie mich hassen, Baier, aber wir müssen reden. Ich
bin in Leo Langs Wohnung.«
    »Ich hasse Sie nicht, ich hasse lediglich manchmal mich selbst,
Weinzirl. Kommen Sie her, bringen Sie das Zeug mit.«
    Als Gerhard ankam, stand sein Weißbier bereit, und auf Baiers
Schreibtisch stapelten sich Bücher. Chroniken von Peiting, alte und neuere.
Gerhard legte seine Blätter vor, Baier betrachtete Blatt für Blatt, fast
ehrfürchtig fasste er die Papiere an. Dann lehnte er sich zurück. Seine Stimme
war voller Wärme, ein Tonfall, den er auch gehabt hatte, als er über Miri
gesprochen hatte. Ein Dolchstoß fuhr in sein Herz, Gerhard versuchte sich auf
Baier zu konzentrieren.
    »Was Sie da sehen, ist ein Hobel. Schauen Sie, Weinzirl, in den
Anfängen des Bergwerks wurde mit Pickeln abgebaut. Wir hatten hier im Westen
Flöze, die waren nur fünfundfünfzig Zentimeter hoch. Stellen Sie sich vor, wie
da einer halb liegend Kohle aus dem Hangenden geholt hat. Später gab es
Pressluftbohrer, sauschwere Teile, halten Sie so was mal, wenn Sie selbst in
der Schräglage in so einem Flöz klemmen. Und das über Stunden. Anfang der
Sechziger kamen Reißhakenhobelanlagen aus dem Ruhrgebiet. Die Kohle wurde zu
teuer, es ging darum, effizienter und schneller abzubauen. Heizöl kostete
sieben bis zehn Pfennig der Liter, ja, davon träumt man heute.«
    »Und was wir hier sehen, ist so ein Hobeldings?«, fragte Gerhard.
    »Ja, soweit ich mich erinnere, wurde 1960 in Flöz 23 ein erster
Versuch gemacht, 1961 in 10/11.«
    »Ja gut, und was hat das nun mit den Zeichnungen zu tun?«
    »Weinzirl, ich bin kein Ingenieur, aber die beiden Urheber hier
haben diese Ruhrpotthobel anscheinend modifiziert. Sie müssen ja bedenken, die
Situation in Peiting war eine ganz andere. Viel engere Flöze, und die Hobel
haben sich da ins Gestein reingebissen und viel zu viel vom Hangenden mit
rausgerissen.«
    »Hangenden?« Das Wort war ihm vorher schon unbekannt gewesen.
    »Ja, im Bergbau unterscheidet man zwischen dem Hangenden, das ist
das Gestein über dem Flöz, und dem Liegenden, das ist unter dem Flöz,
vereinfacht gesprochen. Geologisch ist die Begrifflichkeit noch etwas
komplexer.«
    »Woher wissen Sie das eigentlich alles?«
    Wieder lächelte Baier ein fast wehmütiges Lächeln. »Ich komm aus
einer Bergmannsfamilie. Mein Vater war Bergmann, und ich hab 1957, mit fünfzehn
Jahren, auch die Ausbildung angefangen. Erst über Tage, so ein Bergmann musste
ja alles können. Sortierung, Schreiner, Zimmerei, bei den Elektrikern, in der
Lampenkammer, in der Schmiede, in der Schlosserei …« Er brach kurz ab. »Nach
der Übertageausbildung ist man Jungbergmann, drei Jahre lang zu siebzig Prozent
des Hauerlohns. Drei Jahre als Lehrhauer zweiter Klasse bekommt man achtzig
Prozent des Hauerlohns und ist dann ein Jahr als Lehrhauer erster Klasse mit
neunzig Prozent angestellt. Sieben Jahre Ausbildung wären das …« Wieder
unterbrach er seine Rede und sah Gerhard direkt in die Augen. »Ich habe
abgebrochen. Ich hab die Enge unter Tage nicht ausgehalten, ich wurde
klaustrophobisch. Außerdem entstand beim Abteufen …«
    »Abteufen?«, unterbrach ihn Gerhard.
    »Wenn Sie einen Schacht nach unten bohren. Abteufen meint immer die
Erschließung von senkrechten Hohlräumen. Am Ende ging es bis auf
achthundertvierzehn Meter runter, in Peißenberg am tiefsten Punkt sogar auf
tausendzweihundertfünfundvierzig Meter. Jedenfalls wurde da gesprengt,

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