Markttreiben
kam ein gequälter Schrei.
»Wir sind nicht sentimental oder unrealistisch. Sie haben sie
geliebt, ich habe sie nur kurz gekannt, aber sie war … einzigartig. Es geht
nicht darum, den Tod nicht anerkennen zu können. Irgendwas ist faul hier, sehr
faul.«
»Sie reden sich das ein, Weinzirl. Sie suchen Argumente.«
»Nein!« Das war ein Schrei.
Es blieb eine Weile still, es war, als hallte der Schrei noch nach
in diesem Raum.
»Was wollen Sie tun, Weinzirl?«, fragte Baier schließlich.
»Rainer Bader fragen, wie das war mit dem Schrank? Und Frau Paulus
besuchen.«
»Der Fall ist abgeschlossen, Weinzirl. Es liegt ein Geständnis vor.«
»Ich bin Polizist. Ich kann mich ausweisen.«
»Sie kriegen einen Fetzenärger mit solchen Eigenmächtigkeiten.«
»Sei es drum!«
Baier dachte kurz nach. »Weinzirl, Sie waren doch vorher schon mal
bei Bader, oder?«
»Ja.«
»Hat er Ihnen da was von dem Schrank erzählt?«
Gerhard wusste, auf was Baier hinauswollte. Rainer Bader kannte
Lang. Er hatte diesen Schrank restauriert. Als er mit Evi bei Bader gewesen
war, hatte er mit keinem Wort erwähnt, dass er Lang gekannt hatte. Es wäre doch
normal gewesen, zu erzählen, dass ebendieser Lang mit einem Schrank bei ihm
gewesen war. Das war ja nichts Verwerfliches. Auch hätte er die Unterlagen
erwähnen können. Warum auch nicht? Hatte Rainer Bader die Zusammenhänge auch
erkannt? Und welche Rolle hatte er dabei gespielt? Das war alles so verwirrend
und fußte nur auf Annahmen. Ein ganzes Kartenhaus aus Annahmen. Ein fragiles
Kartenhaus, der leiseste Windstoß würde es zum Einstürzen bringen.
»Denken wir nach, Weinzirl. Denken wir nach!«
»Ich denke nach, mehr, als mein Schädel aushalten kann. Ich finde
keinen anderen Ansatz als den, dass Miri davon gewusst hat. Vielleicht war sie
auch nur bei Leo, und der ist dann zu Maria Paulus gegangen. Maria Paulus
musste Leo loswerden.«
»Ja, das hatten wir schon. Es fehlt uns die dubiose Person, die Leo
umgebracht und Miris Selbstmord vorgetäuscht hat.«
»Jemand, der viel zu verlieren hat. Jemand, der alles zu verlieren
hat!«
»Wir werden zu eingleisig, Weinzirl! Wir schließen all die anderen
Möglichkeiten aus.«
»Welche haben wir denn sonst auch?« Gerhard wusste, dass Baier recht
hatte. Eindimensional zu denken war fatal.
»Wer könnte denn noch von dem Fund gewusst haben? Wer sonst hat
engen Kontakt zu Bader?«, fragte Baier.
»Seine Frau.«
»Genau, Effi Bader, unsere Kreisrätin. Was ist mit der?«
Ja, was war mit Effi? Effi kam morgen zurück von ihrer wohltätigen
Reise. Effi war mit Leo gesehen worden. Was, wenn Effi mit ihm über den Inhalt
des Schrankes geplaudert hatte und gar nicht über die Fotos? Und was bedeutete
das für den Fall? Gerhard berichtete Baier von Effis Rolle in der Geschichte
und konnte nur eins sagen: »Ich kann die Enden nicht verknüpfen. Aber die Dame
kommt ja morgen wieder. Morgen, ja, morgen!« Das klang gequält. »Ich muss etwas
tun!«
Baier überlegte kurz. »Fahren Sie zu Bader. Ich besuche Maria
Paulus.«
»Sie?«
»Ich kenne Maria. Wenn Sie da als Kommissar auftauchen, macht sie
sicher zu. Vor allem, wenn unsere Hypothese stimmt. Ich kann sie als Miris
Onkel besuchen, wir hatten ja schließlich was Gemeinsames …« Seine Stimme
kippte. »Wir trauern ja beide um Miri. Ich meld mich bei Ihnen, Weinzirl.«
Gerhard packte sein Rad und fuhr davon. Er hatte heute schon
einiges an Kilometern zurückgelegt, und doch spürte er seine Beine kaum. Er
jagte am Hetten vorbei, durch all die Weiler im Forst, fuhr den Forster Berg
viel zu schnell hinunter, trug wie immer keinen Helm. Er fuhr wie gejagt.
Eine heiße Dusche lang beruhigte sich sein Puls ein wenig, aber sein
ganzer Körper stand unter Strom.
»Komm, Seppi, wir machen einen Ausflug!«
Seppi war nie so richtig euphorisch beim Autofahren, eher gnädig
sprang er in den Wagen, verschränkte die langen Haxen und legte sich mit einem
Schnaufer hin. Na gut, dann eben ein Ausflug. Der sich aber spätestens in
Willofs für Seppi rentiert hatte. Die Bordercolliedame von Bader fand er ganz
entzückend. Dieser Geruch, diese Augen! Seppi liebte jeden anderen Hund, aber
diese Dame war wohl etwas ganz Besonderes. Die beiden Hunde tollten durch den
Garten, und Gerhard war froh, dass sie erst mal über Hunde reden konnten.
Rainer Bader sah schlecht aus, älter und grauer als bei ihrem letzten
Zusammentreffen. Rainer zeigte ihm ein paar der Stücke, an denen er gerade
arbeitete.
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