Marlene Suson 1
um sich ein Buch aus der Bi- bliothek zu holen.
Er mußte daran denken, was Rachel über Lord Felix gesagt hatte, daß er in ihr nur ein Sammlerstück sah. Jerome bewunderte sie wegen ihres Scharfblicks. Es überraschte ihn, daß sie trotz ihrer Jugend die Menschen so gut einschätzen konnte.
Mit einem leisen Lächeln erinnerte er sich daran, wie hinrei- ßend sie ausgesehen hatte, als sie ihm von dem verunglückten Heiratsantrag Seiner Lordschaft berichtete.
Er hatte ihrem Zauber einfach nicht widerstehen können. Als er sich ihr zuneigte, um sie zu küssen, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß ihn schon lange keine Frau mehr so fasziniert hatte. Seit Cleo.
Cleo. Die Erinnerung an diese treulose Kokotte hatte ihn zu Eis gefrieren lassen und unsanft auf den Boden der Tatsachen zu- rückgeholt. So sehr es Jerome auch nach Lady Rachel verlangte, er würde sie nicht zu seiner Frau machen. Er war zwar verrückt nach ihr, aber so verrückt denn doch nicht.
Der einzige Weg, sie zu bekommen, wäre demnach, sie zu seiner Mätresse zu machen, und das kam nicht in Frage. Nicht einmal der Duke of Westleigh konnte es sich erlauben, die jungfräuliche Tochter eines Earl zu seiner Geliebten zu machen, ohne von der Gesellschaft geächtet zu werden. War sie erst einmal verheiratet, sah die Sache ganz anders aus. Dann war sie Freiwild.
Folglich müßte er eigentlich hoffen, daß sie Lord Felix heira- tete, doch schon der Gedanke verursachte ihm Übelkeit.
Jerome hatte die Halle erreicht. Als er an einer nur ange- lehnten Tür vorbeikam, hörte er Lord Felix’ nörgelnde Stimme. „Sie hat mich abgewiesen. Mich!“ beklagte er sich bitter. „Sie haben mir versprochen, daß ich sie bekomme. Bevor sie nicht
meine Frau ist, kriegen Sie nicht einen Penny der vereinbarten Summe.‚
Wie angewurzelt blieb Jerome stehen. Er war so geschockt von dem, was er eben gehört hatte, daß er alle Skrupel beiseite schob und dicht an den Türspalt schlich, um zu lauschen.
„Ich muß sie einfach haben‚, greinte Felix wie ein Kind, das nach einem Spielzeug verlangt. „Ich habe mein Herz daran ge- hängt. Sie ist die schönste Frau, die mir je vor die Augen gekom- men ist. Keine andere kann meinen Ansprüchen gerecht werden. Lord Felix Overend gibt sich nicht mit zweiter Wahl zufrieden.‚
„Das werden Sie auch nicht müssen‚, antwortete Sophia Win- gates Stimme. „Sie dürfen nur nicht lockerlassen.‚
„Sie sagte, daß nichts auf der Welt sie dazu bringen könnte, mich zu heiraten.‚
„Ich schon.‚ Sophia stieß diese beiden Worte mit so kalter Ent- schlossenheit hervor, daß Jerome spürte, wie sich seine Nacken- haare sträubten.
„Allerdings . . . ‚ fuhr Sophia mit einem lauernden Unterton fort. „Nachdem Sie die Sache jetzt so verpfuscht haben, wird es nicht einfach für mich sein, sie zu überreden. Sie verübelt es Ih- nen, daß Sie ihren Hund getreten haben.‚
„Dieser widerliche Köter!‚ krähte Felix. „Ich hasse Hunde. Wenn wir verheiratet sind, kommt er weg, darauf können Sie sich verlassen. Sie wird nie wieder einen Hund haben. Ich ver- biete es.‚
„Na schön, aber sagen Sie ihr das erst nach der Trauung‚, warnte Sophia. „Durch Ihre Ungeschicklichkeit machen Sie mir jetzt sehr viel mehr Mühe, als ich seinerzeit bei unserer Verein- barung dachte. Das treibt den Preis in die Höhe.‚
„Um wieviel?‚
„Ich verlange das Doppelte, zu zahlen an Ihrem Hochzeitstag. Damit machen Sie noch immer ein gutes Geschäft, Mylord.‚
Lord Felix, der dafür bekannt war, Unsummen zu zahlen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, versuchte erst gar nicht zu feilschen. „Sie bekommen das Geld.‚
Zutiefst empört, erwog Jerome, Alfred Wingate darüber auf- zuklären, daß seine Frau seine Nichte an Felix verkaufen wollte, doch er wußte, daß es vergebene Liebesmüh sein würde. Er hatte längst erkannt, daß dieses jämmerliche Abziehbild eines Mannes nicht wagen würde, sich seiner Frau zu widersetzen.
Leise ging Jerome zurück in sein Zimmer. Mit grimmigem Ge-
sichtsausdruck setzte er sich an den Schreibtisch, um einen Brief abzufassen.
Am nächsten Morgen ging Jerome hinaus zu den Ställen und gab Ferris einen versiegelten und frankierten Brief. „Bring ihn hin- unter ins Dorf zur Post.‚
Sein Reitknecht warf einen Blick auf den Brief, der an Cap- tain George Wingate in Amerika adressiert war. Fragend sah er Jerome an.
„Alle Post nach und von Wingate Hall geht durch Sophias
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