Marlene Suson 2
ja schon genügen, wenn er wenigstens wie ein menschliches Wesen aussah.
„Ich brauche Kamm und Bürste.“ Nach einem kurzen Zögern fügte er noch hinzu: „Haben Sie vielleicht auch ein Rasiermes- ser?“ Josh brauchte gewiß noch kein solches Instrument.
„Ja, aber zuerst mal brauchen Sie dies.“ Sie griff nach einem gefährlich aussehenden Messer, das auf dem Tisch lag, und kam auf ihn zu.
„Was, zum Teufel, ist das?“ fragte er erschrocken.
„Ein Häutemesser.“
„Ein Häutemesser? Sind Sie verrückt?“
Ihre grauen Augen blitzten übermütig. „Vertrauen Sie mir. Habe ich Sie schon je verletzt?“ Mit einer Hand griff sie in seinen Bart, und mit der anderen machte sie ein paar rasche, geschickte Schnitte. Dieses schreckliche Messer war seinem Gesicht so nahe, daß er nicht zu atmen wagte. Hölle und Teufel, diese Frau war eine Gefahr für die Menschheit!
Endlich war sie fertig. „So“, sagte sie zufrieden.
Stephen atmete tief durch. Im Spiegel sah er, daß Meg das meiste von seinem buschigen Bartwuchs mit derselben sicheren Hand entfernt hatte, wie sie vor ein paar Stunden den Truthahn zu ihrem Abendessen verarbeitet hatte.
Sie legte das Messer beiseite und brachte ihm Kamm und Bürste.
Während er versuchte, sein verfilztes Haar zu entwirren, ging Meg zum Kamin. Als sie zum Bett zurückkam, brachte sie ihm eine kleine Blechschüssel mit Wasser, eine Seifenschale, ein Handtuch und ein Rasiermesser. Sie legte alles auf den roh gezimmerten kleinen Tisch neben dem Bett.
Überrascht musterte Stephen das Rasiermesser. Es war ein ausgesprochen edles Stück mit einer hochwertigen Klinge und einem eleganten Perlmuttgriff. So etwas konnte sich nur ein wohlhabender Mann leisten.
„Es gehörte meinem Vater“, erklärte Meg. „Ich hebe es für Josh auf.“
Dies bestärkte Stephen in seiner Überzeugung, daß Meg einmal bessere Tage gesehen hatte.
Er zog die Knie an, lehnte den Spiegel an seine Schenkel und betrachtete deprimiert seine Bartstoppeln. Daheim in England hatte ihn sein Kammerdiener rasiert, wie auch die meisten seiner anderen Bedürfnisse von der Dienerschaft gestillt wurden.
Auch wenn er ein Rasiermesser besessen hätte, auf der Sea Fal- con hätte er nie gewagt, es zu benutzen, wenn sie bei schwerem Seegang hin und her schlingerte. Und während seiner Knecht- schaft bei Hiram Flynt gab es für einen schäbigen Feldarbeiter keinen solchen Luxus wie eine Rasur. Erst recht nicht für einen, der dem Master ein besonderer Dorn im Auge war.
Es war Stephen viel zu peinlich, Meg zu gestehen, daß er sich noch nie im Leben selbst rasiert hatte. Verdammt wollte er sein, wenn er sie in ihrer Meinung bestärkte, daß Männer zu nichts nütze wären.
„Ich . . . ich fürchte, ich bin noch zu zittrig, um mit diesem Rasiermesser umgehen zu können. Könnten Sie mir vielleicht helfen?“
Mit einem Seufzer begann Meg sein Kinn einzuschäumen. Als sie das Messer dann mit sicheren, raschen Strichen über sein Ge- sicht zog, war ihm klar, daß sie nicht zum erstenmal einen Mann rasierte. Wieso störte ihn der Gedanke? „Sie haben das schon früher getan, nicht wahr?“
„Ja“, bestätigte sie unbefangen. „Für meinen Vater. Er haßte es, sich selbst rasieren zu müssen.“
Gehörte ihr Vater am Ende auch zu den Männern, die mehr Last als Hilfe bedeutet hatten?
Stephen unterdrückte einen wohligen Seufzer, während ihre geschickten Hände sein Gesicht bearbeiteten, und er fühlte, wie er sich entspannte.
Selbstvergessen betrachtete er ihre Züge, bewunderte die lan- gen, seidigen Wimpern, die ihre klugen Augen umrahmten. Eigentlich war sie viel hübscher, als er anfangs gedacht hatte. Ihre Nase hatte zwar nichts Aristokratisches, dafür aber eine kecke, leicht aufwärts gerichtete Spitze, die er am liebsten ge- küßt hätte. Ihre Oberlippe hatte er vorher für zu schmal und ihre Unterlippe für zu voll gehalten, doch jetzt mußte er gegen den Wunsch ankämpfen, mit der Zunge zärtlich über ihre weiche, verführerische Unterlippe zu streicheln.
Er senkte den Blick zu ihrem Oberkörper. Da sie sich bei ih- rer Beschäftigung vorbeugen mußte, klaffte der Ausschnitt ihres
Kleides ein wenig auf und bot ihm einen flüchtigen Blick auf den Ansatz ihres festen weißen Busens. Seine Augen hingen wie gebannt daran, und heißes Verlangen schoß in ihm auf. Er sehnte sich danach, ihre lockenden Brüste mit den Händen zu umfassen und die Knospen zu reiben, bis sie sich aufrichteten.
Helle
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