Marlene Suson 2
sorgen.“
Mißmutig verzog er das Gesicht. Holz hacken gehörte zu den Arbeiten, die er haßte. Deshalb schob er es immer auf, solange er nur konnte.
Nachdem Josh gegangen war, fragte Meg: „Sind Sie mit dem Frühstück fertig, Mr. Wingate?“
Er nickte. Als sie nach seinem Teller griff, schlossen seine Finger sich sanft, aber fest um ihr Handgelenk. Ihr Herzschlag stockte bei dieser unerwarteten Berührung.
„Bitte“, sagte er mit schmeichelnder Stimme. „Nennen Sie mich doch Stephen. Das würde mir viel besser gefallen.“
Meg war sicher, daß er ein Meister darin war, Frauen für seine Wünsche gefügig zu machen. „Das würde sich nicht schicken.“ Sie war stolz darauf, wie kühl ihre Stimme klang. Nicht im Traum würde er darauf kommen, daß ihr Herz jedesmal schneller schlug, wenn sie einen Blick auf sein rasiertes Gesicht warf. Er durfte niemals merken, welche Wirkung er auf sie hatte. „Dafür kenne ich Sie nicht gut genug.“
Er musterte sie mit einem mutwilligen Grinsen, das ihr unter
die Haut ging. „Nachdem Sie mich vier Tage lang gepflegt ha- ben, als ich bewußtlos war, möchte ich behaupten, daß Sie mich recht gut kennen.“
Meg errötete. Sie wußte, worauf er anspielte, nämlich daß ihr kein Fleckchen seines Körpers fremd war.
Tausend kleine Teufel tanzten in seinen blauen Augen. „Ei- gentlich müßte ja ich erröten. Aber so, wie die Dinge liegen, könnten Sie mich wirklich Stephen nennen.“ Seine Finger glitten von ihrem Handgelenk um ihre Hand und drückten sie bittend. „Tun Sie mir doch den Gefallen.“
Meg versuchte ihm ihre Hand zu entziehen, doch sein Griff verstärkte sich. Sein Blick wurde plötzlich hart und durchdrin- gend. „Wer war der Bastard, der Ihnen diesen Haß auf die Männer eingeflößt hat?“
„Was meinen Sie damit?“
„Sie sagten, das letzte, was Sie brauchen, sei ein Mann. Wenn eine Frau so denkt, dann nur, weil ein Strolch ihr Grund dazu gegeben hat. Was ist passiert, Meg? Hat er Sie verführt und dann verlassen?“
Meg spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Kein Mann hatte je so unverblümt mit ihr gesprochen. Wütend blitzte sie ihn an, doch das Mitgefühl in seinen Augen ließ ihren Ärger verrauchen.
„War es so?“ Er ließ nicht locker. Sie spürte, daß er nicht nachgeben würde, bevor sie antwortete.
Damit er erst gar nicht auf falsche Gedanken kam, beschloß sie, ihm reinen Wein einzuschenken. „Er tat weder das eine noch das andere, es sei denn, Sie würden sterben mit ,verlassen’ gleichsetzen. Um die Wahrheit zu sagen, ich war froh, ihn los zu sein.“
„Wer war es?“ Stephen hielt noch immer ihre Hand.
„Mein Stiefvater.“
„Hat er Sie und Ihren Bruder in diese gottverlassene Gegend gebracht?“
„Er hat uns gezwungen mitzukommen“, stieß sie bitter hervor.
Mit der freien Hand stellte Stephen seinen Teller auf der an- deren Seite des Bettes ab und zog Meg dann sanft neben sich auf die Bettkante.
„Erzählen Sie mir alles.“ Stephens warme, schwielige Fin- ger umschlossen ihre Hand und hielten sie tröstend fest. Meg
hatte nicht die Kraft, sie ihm zu entziehen. „Wie hat er Sie gezwungen?“
„Sofort nachdem Charles – das war mein Stiefvater – meine Mutter geheiratet hatte, beantragte er die Vormundschaft für Josh und mich.“ Bitterkeit wallte in ihr auf. „Als Charles hierher ins Grenzland zog, zwang er Josh und mich als seine Mündel, mit ihm zu gehen. Kurz nach unserer Ankunft hier – wir waren noch mitten bei der Frühjahrsaussaat – wurde er bei einem Streit getötet.“
Stephens Hände schlossen sich noch fester um ihre. Sie hätte ihm ihre Hand entziehen müssen, doch sie brachte es einfach nicht über sich, den Trost zurückzuweisen, den er ihr spendete. Es war so lange her, daß irgend jemand sie getröstet hatte.
Meg senkte den Blick. Gegen ihre weiße Haut wirkten seine gebräunten Hände noch dunkler. Sie waren schmal, langfingrig und gut geformt. Trotz der Schwielen wirkten sie wie die Hände eines Gentlemans.
Sie hob den Blick zu seinem Gesicht. Sagte er die Wahrheit, wenn er behauptete, Stephen Wingate zu heißen? Sie hoffte es, doch die Wahrscheinlichkeit sprach dagegen.
„Liege ich jetzt in Charles’ Bett?“
Meg nickte. Im stillen bewunderte sie den Wandel, der mit sei- ner Stimme vor sich gegangen war. Gestern noch war sie heiser und rauh gewesen, vermutlich wegen des Fiebers und mangeln- der Übung. Heute dagegen war sie sanft und hatte ein Timbre, das eine
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