Marlene Suson 3
nicht für einen Augenblick. Er hatte vom Herzog gehört, wie jedermann hier in der Gegend, denn die- ser hohe Herr war einer der angesehensten Adligen im ganzen Land. Ein Herzog, ganz besonders ein so reicher und mächti- ger wie Westleigh, wäre in Samt und Seide gekleidet, und seine Finger würden vor Brillantringen nur so strotzen. Dieser Mann hier trug lediglich einen Siegelring.
Der große Fremde, der sich als Bruder des Herzogs ausgab, forderte von Lindsey: „Lassen Sie Lady Daniela jetzt frei.“
„Nein!“ krähte Polk aufgebracht. „Sie ist Gentleman Jack.“
„Was für ein Schwachsinn!“ spottete der Fremde. „Gentleman Jack ist doch keine Frau.“
„Und warum trägt sie dann diese Kleider?“ fragte Polk hä- misch. Auf diese Frage sollte der Fremde erst mal eine Antwort finden.
„Es handelt sich nicht um Gentleman Jacks Kleider.“ Seine Stimme war ebenso eisig wie die des Blonden. „Sie ist so ange- zogen, weil wir gestern abend eine Charade aufgeführt haben, ,Die drei lustigen Räuber’.“
„Nie davon gehört“, maulte Polk. Zugegeben, er kannte kaum ein Theaterstück. Kein halbwegs vernünftiger Mann vergeudete seine Zeit damit, im Dunkeln herumzusitzen und sich dumme Theaterstücke anzuschauen, wenn er die Zeit beim Trinken, Essen, Spielen oder bei einer Frau verbringen konnte.
„Uns fehlte ein Mann“, fuhr Parnell fort, ohne auf Polks Un- terbrechung einzugehen. „Deshalb hat Lady Daniela angeboten, die Rolle des dritten Räubers zu übernehmen.“
Polks Augen wurden schmal. „Und jetzt werden Sie mir er- zählen, daß das Theater unter freiem Himmel stattfand und Sie echte Pferde benutzt haben, wie?“
„Machen Sie sich nicht lächerlich“, fertigte der große Mann ihn kurz ab. „Es schmerzt mich, gestehen zu müssen, daß nach Beendigung des Stücks meine Verlobte und ich eine ziemlich heftige Auseinandersetzung hatten. Da Lady Daniela von auf- brausendem Temperament ist, sprang sie noch im Kostüm auf ihr Pferd, um sich bei einem nächtlichen Ritt abzukühlen. Als sie nicht zurückkam, wurde uns klar; daß sie sich in der Dun- kelheit verirrt haben mußte, und wir haben uns auf die Suche nach ihr gemacht.“
„Genauso ist es gewesen. Ich habe ihnen schon gesagt, daß ich mich rettungslos verirrt hatte. Als ich dann heute mor- gen feststellte, wo ich mich befand, hielt ich es für ratsamer, nach Greenmont zu reiten, als nach Royal Elms zurückzukeh- ren. Aber die Leute hier sind so versessen darauf, die Beloh- nung für Gentleman Jack zu kassieren, daß sie mir nicht glauben wollten.“
„Ich bestehe darauf, daß Sie sie augenblicklich freilassen“, befahl der Mann, der sich Duke of Westleigh nannte. „Seien Sie versichert, daß ich Ihnen einen solchen Affront gegen mich, mei- nen Bruder und meine Familie nicht durchgehen lasse. Ebenso wenig wird es der Earl of Crofton, Lady Danielas Vater, tun.“
Der Konstabler und der Gefängniswärter schauten angstvoll auf Polk.
Der Squire schwankte zwischen der Befürchtung, daß womög- lich ein Körnchen Wahrheit an der Geschichte der Fremden war, und der Angst, daß es nur eine List sein könnte, um ihn um seine fünftausend Pfund zu bringen. Dieser Gedanke schmerzte ihn so sehr, daß er es kaum ertragen konnte.
Geldgier und Zweifel rangen in seiner Brust, und – typisch für ihn – die Geldgier siegte. Er war kein solcher Narr, daß er sich von diesen beiden Hochstaplern berauben ließ. „Sie sind nicht der Herzog und sein Bruder. Und diese Frauensperson ist auch keine Lady, sonst würde sie sich nicht so weit erniedrigen, in Männerkleidern herumzulaufen. Höchstwahrscheinlich sind Sie alle Kumpane von Gentleman Jack.“
Je mehr Polk redete, desto größer wurde seine Überzeugung. Mit finsterem Gesichtsausdruck fixierte er den Mann, der be- hauptete, Westleigh zu sein. „Wenn Sie der Herzog sind, dann zeigen Sie mir doch Ihre Reisekutsche mit dem Wappen auf der Tür. Dann glaube ich Ihnen vielleicht.“
„Sie steht zu Haus. Ich bin geritten.“
„Was Sie nicht sagen“, höhnte Polk. Seine Gier nach der Be- lohnung war für ihn ein schlagendes Argument dafür, daß diese beiden Männer Hochstapler sein mußten. „Wenn Sie mit Ihrer kostbaren Kutsche vorfahren, werde ich Ihnen glauben, und kei- nen Augenblick früher. Wir in Northamptonshire sind nicht so blöd, wie Sie vielleicht glauben.“
„Sie gottverdammte, geldgierige Ratte!“ fuhr Morgan auf Polk los, der vor Schreck einen Schritt zurück
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