Marlene Suson 3
Heiratsantrag machen?“
Morgan verschluckte sich fast an seinem Bier. Das war mal wieder typisch Jerome, eine so direkte und indiskrete Frage zu stellen. Als Morgan sich einigermaßen erholt hatte, sah er seinen Bruder abweisend an. „Wie kommst du denn auf die Idee?“
Jerome schnitt sich eine Scheibe Käse ab und legte sie auf sein Brot. „Ich an deiner Stelle würde mir die Chance nicht ent- gehen lassen.“ Er wirkte aufreizend ruhig und selbstzufrieden. „Daniela wäre die perfekte Frau für dich.“
„Die perfekte Frau!“
Jerome lachte. „Du reagierst genauso wie ich damals, als du das gleiche von Rachel behauptet hast.“
„Das war etwas ganz anderes.“ Morgan genehmigte sich einen weiteren Schluck Bier.
„Findest du? Erkennst du denn nicht die Parallelen zwischen deiner jetzigen Situation und meiner damals, als ich mich in Rachel verliebte?“
„Aber ich bin in Daniela nicht verliebt.“
„Warum bist du dann so erpicht darauf, sie zu finden, daß du nicht einmal zum Essen anhalten willst, obwohl du halb verhungert sein mußt?“
Morgan zögerte. „Weil sie in Gefahr ist“, brummte er dann. Doch im tiefsten Innern wurde ihm klar, daß es nicht nur das war.
„Als Rachel in Gefahr war, habe ich mich ebenso verhalten wie du jetzt, und ich habe mir ebenfalls eingeredet, sie nicht zu lieben. Wie sollte ich auch, denn sie war ja ganz und gar nicht das, was ich mir unter meiner zukünftigen Gemahlin vorstellte.“
Ebensowenig entsprach Daniela Morgans Vorstellung von sei- ner zukünftigen Gemahlin. Hatte er deshalb in ihr immer nur eine Geliebte gesehen und keine Ehefrau?
Ihre wilde, spontane Leidenschaft bei ihrem gestrigen Schä- ferstündchen hatte der seinen in nichts nachgestanden. Es war wunderbar und aufregend gewesen. Morgan durfte gar nicht daran denken, daß Gilfred Rigsby mit seinem brutalen Überfall um Haaresbreite ihre natürliche Sinnlichkeit mit Stumpf und Stiel ausgerottet hätte. Ich könnte die Ratte umbringen!
Er hatte geglaubt, sein Verlangen würde gestillt sein, wenn er erst mit Daniela geschlafen hätte. Jetzt mußte er jedoch fest- stellen, daß das genaue Gegenteil der Fall war. Tatsächlich ver- langte er jetzt noch mehr nach ihr. Diese Erkenntnis brachte ihn dermaßen durcheinander, daß er finster vor sich hinzubrüten begann.
„Du mußt dir über deine Gefühle für Daniela klarwerden, Mor- gan“, mahnte Jerome eindringlich. „Ist nicht der Grund dafür, daß du sie erst entführt hast und jetzt hinter ihr herjagst, deine Angst davor, daß sie am Galgen enden könnte?“
Morgan nickte. Schon der Gedanke daran zerriß ihm das Herz.
„Ich habe Rachel beinahe verloren, bevor ich mir eingestand, daß sie die einzige Frau ist, die ich wirklich lieben kann. Mach nicht den gleichen Fehler mit Daniela.“
Morgan war noch lange nicht davon überzeugt, daß Jerome recht hatte, und daß Daniela tatsächlich die richtige Frau für
ihn war. „Ist eine Straßenräuberin deiner Meinung nach wirklich geeignet, meine Frau zu werden?“
Ein ironisches Lächeln umspielte Jeromes Lippen. „Mit dir und Daniela als Eltern würden meine Neffen – und womöglich auch meine Nichten – mit Sicherheit die verwegensten Straßenräuber aller Zeiten.“
Der Gedanke weckte blankes Entsetzen in Morgan. Er würde vor Angst um seine Kinder nicht in den Schlaf kommen. „Nicht, wenn ich es verhindern kann.“
Jerome lachte, doch dann wurde er wieder ernst. „Daniela ist eine warmherzige, couragierte und intelligente Frau, die deine Interessen teilt. Eine Frau wie Lady Elizabeth Sanders würde das nie tun.“
Morgan erinnerte sich daran, wie angeregt und begeistert Da- niela auf seine Pläne mit der Modellkommune eingegangen war.
„Der Kopf akzeptiert nicht immer das, was das Herz ihm vor- schreibt, Morgan. Man verliebt sich nicht immer in die Frau, die, oberflächlich betrachtet, zu einem passen würde. Hör auf dein Herz. Mein Herz wußte genau, was für mich richtig war, obwohl ich mich dagegen auflehnte.“
Doch was sagte Morgans Herz ihm?
Verwirrt und betroffen sah er seinen Bruder an. Zum ersten- mal verstand er wirklich, was in Jerome vorgegangen war, als er sich gegen seinen Willen in Rachel verliebt hatte.
Ein korpulenter Mann, dessen elegante Kleidung ihn als Herrn von Stand auswies, betrat in geschäftiger Eile die Schankstube. Als er sah, daß nur Morgan und Jerome sich darin aufhielten, flog ein enttäuschter Ausdruck über sein Gesicht. Doch dann trat er
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