Marlene Suson 3
machte. „Sie haben nichts anderes im Kopf als die Belohnung, auf die Sie über- haupt keinen Anspruch haben. Sie halten nicht nur eine unschul- dige Frau fest, sondern lassen damit auch noch den wirklichen Gentleman Jack frei herumlaufen. Muß es erst wieder einen Überfall geben, um Ihnen zu beweisen, daß Sie sich irren?“
Seit Jahren hatte niemand gewagt, so mit Polk zu reden, und es versetzte ihn in helle Wut. „Wenn Gentleman Jack wieder je- manden beraubt, werden wir sie freilassen. Aber das kann gar nicht passieren, weil sie Gentleman Jack ist.“
„Diesmal sind Sie zu weit gegangen, Polk.“ Die Stimme des Mannes, der sich als Herzog ausgab, war so eisig, daß Polk frö- stelte. „Ich verspreche Ihnen, daß Sie nie auch nur einen Penny von irgendeiner Belohnung sehen werden, und daß man Sie mit Schimpf und Schande von Ihrem Posten jagen wird. Komm, Morgan, der König muß davon erfahren.“
Als sie an dem Squire vorbeischritten, rümpfte der größere Mann angeekelt die Nase. „Sie stinken sogar wie das gierige Schwein, das Sie sind.“
Polk war sichtlich erschüttert. „Das war nicht der Duke of Westleigh und sein Bruder“, sagte er laut, als müßte er nicht nur den Konstabler und Lindsey, sondern vor allem auch sich selbst überzeugen. „Und unsere Gefangene ist auch keine Lady Daniela.“
„Jerome, du mußt mich von meinem Versprechen entbinden“, sagte Morgan eindringlich, als die Brüder vom Gefängnis weg- ritten.
„Morgan ...“
„Nur für eine Stunde! Verstehst du denn nicht? Wenn ich je- manden überfalle, während Daniela im Gefängnis ist, müssen sie sie freilassen. Dieser indiskutable Friedensrichter hat es selbst zugegeben.“
„Du hast dein Gentleman-Jack-Kostüm doch gar nicht dabei“, wandte der stets praktisch denkende Jerome ein.
„Stimmt, und Black Ben auch nicht“, bestätigte Morgan, der ja Thunder ritt. „Ich reite mit dir nach Royal Elms zurück und komme dann wieder. Bist du bereit, mich für dieses eine Mal von meinem Versprechen zu entbinden?“
Sein Bruder seufzte. „Ich fürchte, ich muß.“ Er schwieg einen Augenblick und fügte dann hinzu: „Aber nur, wenn du dir den als Opfer aussuchst, der mir vorschwebt.“
Morgan grinste. „Du hast es also erraten.“
„Ja, und ich hätte beinahe Lust, mich dir anzuschließen“, gestand Jerome lachend.
„Auf keinen Fall! Ein solches Risiko darfst du nicht eingehen.“
Aus Jeromes Blick, der auf seinem Bruder ruhte, sprach tiefe Zuneigung. „Dann verstehst du wenigstens, was ich von dieser Gentleman-Jack-Maskerade halte.“
22. KAPITEL
Am Nachmittag des folgenden Tages ritten drei staubige, grim- mig dreinblickende Fremde in Tappenham ein und machten beim Wirtshaus halt. Squire Polk, der soeben das Gefängnis verließ, um zu seinem üblichen Nachmittagsschläfchen heimzureiten, musterte das Trio argwöhnisch.
Er ging zurück ins Gefängnis. „Finden Sie heraus, wer diese Männer sind und weshalb sie hier haltmachen“, befahl er Konstabler Hendricks.
Als Hendricks zwanzig Minuten später wiederkam, bestätigten sich Polks schlimmste Befürchtungen. Hendricks hatte nämlich festgestellt, daß es sich um die drei berüchtigtsten Kopfgeldjäger von ganz England handelte.
In der Schankstube ließen sie sich lautstark darüber aus, wie lächerlich es doch sei, daß man die Frau im Gefängnis für Gentle- man Jack hielt. Sie schlossen Wetten darüber ab, daß die Unter- stellung, er sei ein Frauenzimmer, den echten Gentleman Jack so beleidigen würde, daß er sofort nach Tappenham kommen und mit diesem Unsinn Schluß machen würde.
Und wenn er das tat, wollten die drei ihn schnappen.
Polk schlug mit der Faust auf den Holztisch, der im Gefäng- nis stand. „Wieso ist dieser verdammte Bote, den wir wegen der Belohnung nach London geschickt haben, noch nicht zurück? Er müßte längst wieder da sein.“
Er hatte kaum ausgesprochen, als sich die Tür öffnete und der Bote eintrat. Begleitet wurde er von einem Fremden, den er als Mr. Yarwood vorstellte. Mr. Yarwood sei ein Agent der Krone und hergeschickt worden, um sich davon zu überzeugen, daß der Gefangene wirklich Gentleman Jack war.
Polk, der diese Möglichkeit nicht vorhergesehen hatte, war im ersten Augenblick völlig verdattert. Dann wurde er furcht- bar wütend. Wie konnte es irgendwer wagen, sein Wort anzu- zweifeln! „Traut der König uns so wenig über den Weg, daß er
Sie herschicken muß, um unser Wort zu bestätigen?“ fragte er
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