Marlene Suson 3
Eichenwald, wartete Morgan in seinem Gentleman-Jack-Kostüm geduldig auf Squire Polk. Er mußte jeden Augenblick hier vorbeikommen, denn er ritt gewöhnlich um diese Zeit nach Hause, um sein Nickerchen zu machen.
Er hörte den Hufschlag näher kommender Pferde. Als er sah, daß Polk in Begleitung war, fluchte er unterdrückt.
Als die beiden Männer nah genug herangekommen waren, ritt Morgan aus seiner Deckung heraus und verstellte ihnen mit Black Ben den Weg. Er zog die Pistolen und rief mit rau- her Stimme sein inzwischen landauf, landab berüchtigtes Kom- mando: „Hände hoch, oder ihr kriegt meine Schießeisen zu spüren!“
Beide Männer gehorchten augenblicklich.
„Wer sind Sie?“ quietschte der Squire mit hoher Stimme.
„Gentleman Jack. Ihr habt vielleicht von mir gehört.“
Ein entsetztes Stöhnen entfuhr Polk.
„Runter von den Gäulen, beide!“ befahl Morgan.
Mr. Yarwood gehorchte, ohne zu zögern. Polk, dem es sichtlich mißfiel, seinen feisten Körper vom Pferd zu wuchten, lamen- tierte: „Wissen Sie eigentlich, wer wir sind? Dieser Gentleman hier ist Mr. Yarwood, ein Abgesandter des Königs, und ich bin der Friedensrichter von Tappenham.“
„Aha! Dann bist du also der fette, korrupte Friedensrichter, der die ganze Gegend hier seit Jahren terrorisiert.“
Polk stieß einen erstickten Laut aus, doch Morgan fuhr unbe- irrt fort: „Wie ich höre, habt ihr bei euch im Kittchen einen Ge- fangenen, den ihr als Gentleman Jack ausgebt, damit ihr euch die Belohnung unter den Nagel reißen könnt. Das geht mir mächtig gegen den Strich. Wär ja nicht ganz so schlimm, wenn es sich um einen Mann handelte, aber ein Frauenzimmer! Das paßt mir nicht, aber schon gar nicht. Ihr ruiniert mein Ansehen, verdammt noch mal, wenn ihr behauptet, so ein armseliges Frauenzimmer wär Gentleman Jack. Also nein, wirklich, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.“
Alle Farbe war aus Polks rosigem Gesicht gewichen.
„Was mir dagegen gut paßt, ist euer hübsches Pferdchen.“
Der Friedensrichter klappte den Mund auf, um zu protestieren, doch Morgan schnitt ihm das Wort ab. „Strapazier meine Geduld nicht.“ Er wies mit dem Lauf seiner Pistole mitten in Polks Ge- sicht. „Noch ein Wort, und ich schieße dir deine verlogene Zunge aus dem Hals. Und jetzt runter vom Pferd, aber’n bißchen flott!“
In seiner Hast, Morgans Befehl nachzukommen, fiel Polk fast von seinem Pferd. „Sie können uns doch nicht ohne Reittiere hier mitten im Wald aussetzen“, jammerte er.
„Ja, das wäre wirklich sehr unhöflich von mir, euch so weit laufen zu lassen, und unhöflich ist Gentleman Jack nie. Ich habe ein Reittier für dich, das haargenau zu dir paßt. Geh dort hin- über.“ Morgan wies auf einen Baum neben der Straße, wo er einen Esel angebunden hatte.
„Rauf mit dir!“ herrschte er den Squire an. „Nein, nicht so. Dreh dich rum, mit dem Gesicht zu dem Ende, das dir am ähnlichsten sieht.“
Polk wollte wieder protestieren, doch Morgan ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wird’s bald?“ grollte er und hob drohend die Pistolen.
Der Squire gehorchte, und Morgan griff nach dem vorbereite- ten Strick, der an beiden Enden eine Schlaufe hatte. Er steckte Polks Fußgelenke in die Schlaufen und zog den Strick unter dem Bauch des Esels durch, so daß der Squire auf seinem Reittier festgezurrt war.
„Und jetzt“, sagte Morgan zufrieden und band das Tier vom Baum los, „sitzt ein Esel auf dem anderen.“
Er versetzte dem Grautier einen leichten Schlag mit seiner Reitgerte, und es begann gehorsam auf Tappenham zuzutraben.
Der auf und ab hüpfende Reiter auf seinem Rücken klammerte sich verzweifelt an den Schwanz des Esels, wobei er aus vollem Hals und in höchsten Tönen um Hilfe schrie.
Morgan schaute ihm einen Augenblick nach. Dann wandte er sich seinem zweiten Gefangenen zu, der sich vor Lachen bog.
Als Mr. Yarwood sich so weit erholt hatte, daß er seine Stimme wiederfand, fragte er: „Haben Sie für mich auch einen Esel?“
„Würde nicht zu Ihnen passen“, beschied Gentleman Jack ihn kurz.
Mr. Yarwoods Mundwinkel zuckten. „Besten Dank. Und was haben Sie mit mir vor?“
„Sie bleiben ‘ne Weile hier. Dann können Sie mit Ihrem Pferd weiterreiten.“
„Ich verstehe. Ich darf erst dann weiterreiten, wenn ich Polks Einritt in Tappenham nicht mehr unterbinden kann, richtig?“
„Richtig.“
„Wie unfreundlich von Ihnen, Gentleman Jack. Ich schwöre, ich werde nichts unternehmen, wenn Sie
Weitere Kostenlose Bücher