Marlene Suson 3
hätte er den Herzog und seinen Bruder gleich mit aufgeknüpft. In der Hölle sollen sie schmoren, alle drei!
Finster grübelte Polk vor sich hin. Westleigh war heute hier aufgetaucht, um die Braut seines Bruders im Empfang zu neh- men, unmittelbar nachdem Gentleman Jack zugeschlagen hatte. Als hätte der Herzog genau gewußt, was passieren würde. Und wieso war sein Bruder nicht mit ihm gekommen? Immerhin war er mit dem Weibsbild verlobt, nicht der Herzog.
Sie lassen den echten Gentleman Jack frei herumlaufen. Muß er erst wieder jemanden überfallen, um es Ihnen zu beweisen?
Lord Morgans wütende Worte gingen dem Squire nicht aus dem Kopf. War es möglich, daß der Bruder des Herzogs sich als Gentleman Jack ausgegeben hatte, um die Freilassung seiner Braut zu erzwingen? Jetzt, da er darüber nachdachte, kam Polk zum Bewußtsein, daß der Mann, der ihn so gedemütigt hatte, von gleicher Größe und Statur war wie der Bruder des Herzogs und sich ebenso geschmeidig bewegt hatte.
Voll gehässiger Vorfreude rieb der Squire sich die Hände. Jetzt wußte er, wie er den Herzog und seinen Bruder in Mißkredit brin- gen konnte. Zugegeben, es war ein gefährlich verwegener Plan, aber er konnte gelingen. Man mußte es nur versuchen. Außerdem war es seine einzige Chance.
Als Polk hörte, wie die Gefängnistür sich öffnete, drehte er sich um, und sein Unterkiefer klappte herunter. Die drei finsteren Fi- guren, die ihm schon vorhin aufgefallen waren, standen mit ge- zogenen Pistolen da, und zwischen ihnen Lord Morgan Parnell. Seine Handgelenke waren mit einem Strick zusammengebunden. Das Trio stieß ihn grob weiter in den Raum hinein.
Der Kerl mit der Narbe sagte: „Hier haben wir den wirklichen Gentleman Jack.“
Die Zukunft, die noch vor kurzer Zeit so schwarz vor Polk ge- legen hatte, wurde wie durch ein Wunder hell und sonnig. Was für ein einmaliger Glücksfall! Und er paßte hundertprozentig in seinen Plan.
Morgan unterdrückte ein Stöhnen, als sein Blick auf den Squire fiel. In Polks Augen glitzerte es irre.
Auf dem Ritt in den Ort hatte Morgan zwei der drei Kopfgeld- jäger davon überzeugt, daß sie einen bösen Fehler machten, wenn sie ihn als Gentleman Jack festsetzten, und daß dieser Fehler sie Kopf und Kragen kosten würde. Wäre der Mann mit der Narbe namens Enoch nicht gewesen, dann hätten die anderen Morgan inzwischen längst freigelassen.
Mit einer Arroganz, die auch Jerome zur Ehre gereicht hätte, sagte Morgan eisig: „Sowohl der Gefängniswärter als auch der Konstabler hier wissen genau, daß ich Lord Morgan Parnell bin, der Bruder des Duke of Westleigh.“
„Stimmt, isser“, bestätigte Lindsey.
Der Konstabler wollte etwas sagen, doch Polk brachte ihn ha- stig zum Schweigen, indem er ihm seinen Ellbogen in die Rippen stieß.
Unruhe überfiel die Kopfgeldjäger. „Ich glaub, der ist nicht Gentleman Jack“, brummte einer von ihnen, ein bulliger Mann mit einem schwarzen Stoppelbart. „Bin dafür, ihn laufen zu lassen.“
„Halt die Klappe, Isiah“, raunzte Enoch. „Ich werf mal’n Blick in seine Satteltaschen.“
Dort würde er nichts Verdächtiges finden, und Morgan ent- spannte sich ein wenig. Enoch ließ die Gefängnistür hinter sich offen, und Morgan konnte zusehen, wie der Kopfgeldjäger erst die eine und dann die andere Satteltasche durchwühlte.
Der Mann stieß einen frohlockenden Ruf aus, als er aus der zweiten Satteltasche ein schwarzes Ding zutage förderte, mit dem er dann triumphierend ins Gefängnis zurückkam.
Morgan fluchte stumm, aber herzhaft in sich hinein. Er hatte vergessen, daß er seine Maske abgenommen und in die Sattel- tasche gestopft hatte, nachdem er sich von Yarwood getrennt hatte.
Polk riß Enoch die Maske aus der Hand und hielt sie höhnisch grinsend hoch. „Das ist Gentleman Jacks Maske. Er hat sie beim Überfall auf mich getragen. Dies ist der Kerl, der mein Pferd gestohlen hat.“
Zum erstenmal bekam Morgan wirklich Angst. Es würde schwierig, vielleicht sogar unmöglich sein, sich hier herauszure- den. „Dummes Zeug!“ fuhr er mit gespieltem Zorn auf. „Wenn ich Ihr Pferd gestohlen hätte, warum habe ich es dann nicht bei mir?“
„Sie haben es schon verkauft“, gab der Squire zurück.
„Dazu war keine Zeit“, wandte Isiah stirnrunzelnd ein.
„Warum sollte ich, der Bruder eines sehr wohlhabenden Herzogs, zum Dieb werden?“
Diese Frage nahm selbst Enoch den Wind aus den Segeln.
„Ich finde, wir sollten ihn laufen lassen“,
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