Marlene Suson 3
sagte Isiah.
„Kein Mensch darf sich über das Gesetz hinwegsetzen, auch nicht der Bruder eines Herzogs“, schnappte Polk.
„Sie haben nicht den geringsten Beweis gegen mich.“
„Wir haben jede Menge Beweise“, behauptete der Squire.
„Sie haben nichts als eine Maske, die nicht anders aussieht als all die Masken, die englische Aristokraten auf Maskenbällen tragen. Sie alle werden teuer für diesen Irrtum bezahlen, das verspreche ich Ihnen.“ Morgan bluffte, aber was blieb ihm sonst übrig?
„Hab keine Lust, mich mit’m Bruder von ‘nem Herzog anzu- legen“, druckste Isiah unbehaglich.
„Ich auch nicht“, sagte der dritte Kopfgeldjäger, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Lassen wir’n laufen.“
Selbst Enoch wirkte jetzt verunsichert und besorgt. „Vielleicht habt ihr recht.“
Morgans Aussichten stiegen gewaltig.
Haß und Verzweiflung verzerrte Polks Gesicht, und in sei- nen Augen flackerte wieder der Wahnsinn. „Ich habe einen unwiderlegbaren Beweis dafür, daß er Gentleman Jack ist.“
„Was für’n Beweis?“ fragte Isiah skeptisch.
Mit einer theatralischen Geste öffnete Polk eine kleine Schublade, die unter dem Tisch angebracht war, und zog ein aufgerolltes Blatt Papier hervor, das mit einem roten Band zu- sammengebunden war. „Ich habe hier die unterzeichnete und be- glaubigte Erklärung von der Braut dieses Mannes, Lady Daniela Winslow, daß er Gentleman Jack ist.“
„Was?!“ stieß Morgan entgeistert hervor. „Das will ich sehen.“ Er wollte nach dem Papier greifen, vergaß in der Aufregung aber völlig, daß seine Hände gefesselt waren.
Polk trat rasch zurück und hielt das Papier außerhalb Mor- gans Reichweite. „Wozu? Damit Sie es zerreißen und nachher behaupten können, es hätte nie existiert? Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?“
„Lady Daniela hätte niemals eine solche Erklärung abgege- ben.“
„Nein? Wirklich nicht?“ Polk grinste hämisch. „Da setzen Sie
aber offenbar viel mehr Vertrauen in sie als umgekehrt. Als Sie und Ihr Bruder gestern fortritten, ohne Ihre Braut freizubekom- men, war sie davon überzeugt, daß Sie sie aufgegeben haben und dem ihr drohenden Schicksal überlassen wollten.“
Hatte Daniela das wirklich geglaubt?
„Die Angst vor dem Galgen holt auch aus dem widerspen- stigsten Häftling die Wahrheit heraus“, fuhr der Squire selbst- gefällig fort. „Um ihren Hals zu retten, hat sie versprochen, die Identität des wahren Gentleman Jack preiszugeben, wenn wir ihr dafür den Galgen ersparen.“
Auch Morgan hatte schon erlebt, daß scheinbar starke Männer völlig zusammenklappten, wenn der Henkerstrick ihnen drohte. War das auch mit Daniela geschehen?
Polk trat ein paar Schritte von Morgan und den drei Kopf- geldjägern zurück, knüpfte das rote Band auf, entrollte das Do- kument und hielt es hoch. Es war eng beschrieben, doch Morgan stand zu weit entfernt, um die Worte entziffern zu können.
„Hier ist der Beweis“, sagte der Squire triumphierend. „Dieser Mann ist Gentleman Jack, von seiner eigenen Verlobten tinter Eid bestätigt.“
Morgan war wie vor den Kopf geschlagen, und er brachte kein Wort heraus. Nicht einmal Polk würde es wagen, über den Inhalt des Dokumentes die Unwahrheit zu sagen.
Es war nicht zu fassen! Morgan hatte Daniela vor dem Galgen gerettet, und zum Dank dafür schickte sie ihn hinauf!
Ihm war, als bohrte sich ein Messer mitten ins Herz.
Rasender Zorn über ihren Verrat kochte in ihm hoch, und in seinen Ohren dröhnte es. Für einen Augenblick war er blind und taub für alles, was um ihn herum vorging.
Mit dieser treulosen Person wollte er nichts mehr zu tun haben. Und dabei hatte er seit seiner Unterhaltung mit Jerome in der Schankstube sogar mit dem Gedanken gespielt, sie zu heiraten!
Damit war es nun ein für allemal vorbei.
Nicht, daß das noch eine Rolle spielte. Wenn es nach Polk ging, würde er ohnehin keine Gelegenheit mehr haben, irgendeine Frau heimzuführen.
24. KAPITEL
Zum wiederholten Male streifte Daniela die Uhr auf dem Kaminsims mit einem verstohlenen Blick.
Es war schon elf Uhr.
Morgan und Stephen müßten seit Stunden zurück sein. Angst preßte Danielas Herz zusammen. Hoffentlich war den beiden nichts zugestoßen. An der Häufigkeit, mit der auch Rachel, Megan und selbst Jerome immer wieder auf die Uhr schauten, erkannte Daniela, daß sie sich ebenfalls Sorgen machten.
Seitdem Mr. Yarwood sich vor einer halben Stunde in sein Zimmer zurückgezogen hatte,
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